% Weckruf %

an Alle, die denken wollen.

Inhalt:

1. Der Staat und der Parlamentarismus.

2. Die Arbeiterbewegung und der Generalstreik.

3. Oas Prinzip der Anarchistischen Föderation

Deutschlands.

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Herausgegeben von der Anarchistischen Föderation Deutschlands.

Verlag: P. Frauböse, Berlin.

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I.

Der Staat und der Parlamentarismus.

Ueber das Wesen des Staates ist schon Tie! geredet und noch mehr geschrieben worden, aber selten trifft man eine Definition an, die der Wahrheit entspricht, und sie kann nicht der Wahrheit entsprechen, weil sie nnr von Anhängern der Staatsidee ausgeht. In diesem Bemühen, den Staat als etwas Geheiligtes dem Volke vorzuführen, sind sich alle Parteien einig, weil alle nach der Staatsgewalt streben nnd somit ein Interesse daran haben, soin wahres Wesen zu verdunkeln. Man hat versucht, und meistens ist es bei den Denkunfähigen gelungen, den Staat als eine Organisation hinzustellen, die die Interessen aller vertritt. Bei den Denkenden ist dieser Versuch freilich gänzlich missglückt. Wenn der Staat die Interessen aller vertritt, so fragt der Denkende, wie kommt es dann nur, dass ein Teil der Mensohen mit der bittersten Not sein Leben lang zu kämpfen hat, während ein anderer Teil in Ueppigkeit schwelgt und daran schier zu Grunde geht. Hier wäre doch für den Staat die Gelegenheit und das Gebiet gegeben, seine Wirksamkeit als das zu demonstrieren, wofür man ihn ausgiebt. Aber was erleben wir da? Ein Teil wird privilegiert, und zwar auf Kosten des andern Teiles. Der Staat ist nichts weiter als die organisierte Gewalt einer Klasse von Menschen über die andere. Zwei Extreme stehen sich gegenüber: Besitzende und Besitzlose, Regierende und Regierte. Ks ist ganz selbstverständlich, dass die Besitzenden die Regierenden sind, während die Besitzlosen immer die Regierten sein werden.

Man erinnere sich an jenen „glorreichen* Franzosen-König Ludwig XIV, der im Grössenwahn den denkwürdigen Ausspruch that: „Der Staat bin Ich*. Dieser Grössenwahn wurde schwer gorächt, denn der Staat, dass sind die Besitzenden. Es liegt nun ganz im Wesen des Staates, seine Macht zu erweitern, seine Macht zu gebrauchen und zu missbrauchen, sie auch auf diese Fragen auszudehnen, wo das Individuum der Gesellschaft nicht tributär ist. Und das ist nur ganz natürlich. Wer etwas anderes vom Staate erwartet, der ist sich über sein Wesen vollständig unklar. Der Staat ist die Tugend, will man uns glauben machen, aber die Armenhäuser, die Zuchthäuser, die Arbeitehäuser, die Asyle der Obdachlosen zeigen uns wohl doch etwas anderes. Die Theoretiker der Sozialdemokratie definieren uns den Staat als „Selbstregieruug", als die „Macht des Volkes über sich selbst". Das ist ein arger Trugschluss. Daa Volk, sagt Hill) welches die Macht ausübt, ist nicht stets dasselbe Volk mit denen, über die diese Macht ansgeübt wird; und die sogenannte „Selbstregierung" ist nicht die Regierung des einzelnen dnrch sich selbst, sondern die Regierung jedermanns durch alle anderen. Der Volkswille bedeutet thats&chlich nur den Willen des zahlreichsten oder ruhrigsten Teiles desJVolkes, der Mehrheit, oder derjenigen, denen es gelingt, sich als Mehrheit geltend zu machen. Zu gut deutsch heisst das nichts anderes als: die „Macht des Volkes über sich selbst" ist die Macht der Mehrheit. Und nicht nur dies. In Wirklichkeit ist diese Macht die Macht der Schönredner, die Macht des Demagogon, die Macht der Streber und Gaukler. Redet uns nicht von der „Macht der Mehrheit"; wie Mehrheiten gemacht werden, davon haben wir schon recht böse Beispiele erlebt, und in jeder Versammlung kann man den Triumph der Zungenschlagfertigen über die weniger Schlagfertigen konstatieren. Eine wahre Volksregierung ist somit ein Nonsens, und wir werden nicht verfehlen, don Arbeitern diesen Irrtum klar zu machen.

Von Seiten der Politikanten nnd Streber in der Arbeiterbewegung hat man nun versucht die Arbeiter zur Mitarbeit an den bestehenden Staatseinrichtungen zu interessieren, und zwar mit gutem Erfolg. Aber diese Mitarbeit ist doch sehr bedenklich, vom StaudpuDkte der Nicht-besitzenden, und sie werden es noch einmal bereuen. Nie und nimmer kann die heutige Gesellschaftsordnung durch das Mittel des Parlamentarismus beseitigt werden, um einer freieren Platz zu machen. Das geben uns auch die Politiker unumwunden zu.

Sollen sich die Arbeiter nun am Parlamentarismus beteiligen um winziger Vorteile willen? In Wirklichkeit sind diese Vorteile überhaupt garnicht vorhanden. Es sind nur Scheinvortcile. Wir können uns drehen und wenden, wie wir wollen: wenn etwas für uns geschieht, so doch immer nur auf unser*» eigenon Kosten, weil wir die einzigen sind, die alle Werte schaffen. Man nimmt es uns, um es uns in anderer Form wiederzugeben, nnd die Dummen glauben, sie haben nun wirklich etwas erhalten. Und was wir nun wirklich vom Parlamente erhalten, wird sich in so bescheidenen Grenzen halten, dass es sich garnicht verlohnt, es in Empfang zu nehmen. Zudem: man wird immer erst bewilligen, nachdem sich ein Uebel in einer gefahrdrohenden Weise geäussert hat und wirtschaftlich sozusagen schon vollzogene Thatsache ist. Warum diesen Umweg und soviel Kraft verschwenden ? Oder giebt es eine Historie, die uns nachweist, dass Parlamente neue, eigene, das Volk zum Glück führende Wege wandelten? Wenn die Parlamente neue, eigene Wege wandelten, dann waren es stets antisoziale.

Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte: Was die Parlamente gutes schufen, wurde ihnen von der Macht der Verhältnisse.

diktiert; was sie eigones schufen, waren Steine und Ruten. Schaut das kollo8sale Heer der Hungernden, Frierenden, Obdachlosen und schaut ferner die gewaltigen Zwingburgen, sind sie nicht ein schlagender Beweis für unsere Behauptung?

Die sogenannten Arbeitervertreter vorsuchen nun das Volk mit der Phrase zu hypnotisieren: „Wählt uns, wir sind die richtigen Männer, wir sind die Männer des Volkes; wenn wir einmal die Majorität haben,- dann werden alle Eure Wünsche erfüllt".

Das ist ein billiger, aber schlechter Trost, — die Enttäuschung kann nicht ausbleiben.

Die Arbeiter haben ihre Rechte in ganz anderer Weise, mit Erfolg zu fordern, und im folgenden Abschnitt werden wir die Mittel näher zeichnen.

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Die Arbeiterbewegung und der Generalstreik.

Wir müssen hier unsern Atem an ein Thema verschwenden, das ebenso wenig eines Beweises bedarf, wie die Thatsache, dass wir leben und dass wir einst sterben müssen. Dass dem so ist, beweist uns, was systematische Schule vermag, und wir machen gar kein Hebl daraus, offen zu sagen, dass Schule darin liegt, wenn professionelle Politiker den Streik, don Generalstreik, als Generalblödsinn bezeichnen. Die Herren wittern mit gutem Instinkt, dass mit der Verbreitung der Generalstreiksidee ihre Abgeordnetenherrlichkeit in die Brüche geht.

Zum Thema. Es ist geradezu lächerlich, dass man zu organisierten Arbeitern noch von dem Wert des Generalstreiks sprechen mus«. Was bedeutet denn eigentlich die Gewerkschaftsorganisation ? Wenn sie einen rechten Sinn haben soll, kann sie etwas anderes bedeuten als die Organisation des Streiks? Und ist der Streik, und in Konsequenz dessen der Generalstreik, nicht die natürliche Folge gewerkschaftlicher Organisation? Dieser Gedankengang ist so logisch, dass er sich dem Blödesten aufdrängt, aber die Politiker haben etwas anderes bestimmt, also: Generalstreik — Generalblödsinn.

Man begroift das alles sehr wohl, wenn man an den Stand der Arbeiterbewegung mit ihrer systematischen Disziplinierung und Bevormundung denkt. Es ist geradezu verwunderlich, wie sich konventionelle, autoritäre Erziehungsmethoden in die Arbeiterwelt hinübergerettet haben. Ueberall, wohin man auch das Auge blicken läast, starrt uns der Geist

Bismarck* and Stöoker» «ntgcgeu. Nichts, aber auch garnichts erinnert uns bei Betrachtung der Arbeiterbewegung an den neuen Geist, der theoretisch Torbanden gewähnt wird. Der Konservativismus ist eine eoht deutsche Nationalkrankheit. Und wenn man an die Konzilien denkt, die man hier zu Lande Parteitage nennt, dann murmeln unsere Ketzerlippen immerfort: „Ist das die moderne Arbeiterbewegung; ist das das neue Geschlecht?"

Wir haben bei Betrachtung der Arbeiterbewegung alle Mühe, uns den Pessimismus vom Halse zu halten. Aber wir vertrauen dem Instinkt des Menschen, des gehetzten Menschen, im entscheidenden Moment das richtige Mittel zu findon, um seine Verfolger in die Grube fallen zu lassen. Wie die Sache jetzt liegt, müssen wir uns thatsächlich von dem romanischen Bauern beschämen lassen. Bei all seiner Dummheit hat er Bich doch etwas gesunden Verstand bewahrt, und dieser mit ein wenig Charakter und Thatkraft lässt ihn weiter kommen wie uns mit unserm ewigen W&hlen und Resolutionieren, womit man die kostbare Zeit vertrödelt und darüber das Handeln vergisst Unser Trost ist schwach, sehr schwach, wenn wir eine Besserung von der Einsicht der Arbeiter erwarten. Aber ein Trost bleibt uns, und das ist die Macht der ökonomischen Verhältnisse, die uns vielleicht bald zwingen werden, nach andern Mitteln Umschau zu halten.

Es kommt zweifellos nach ehernen Gesetzon einmal die Zeit, wo das Volk sich nicht mehr mit solchen passiven Mitteln begnügen wird. Aber wehe uns, wenn wir dann nicht genügend vorbereitet sind; und wehe den Gauklern, wenn daB Volk einmal aus tiefstem Innern heraus handelt. Wir haben oft darübor nachgedacht, wolche Motive die Herren von der hohen Politik wohl geleitet haben könnten, als sie den unseligen Besohluss oktroyierten, die Maifeier fortan nicht mehr durch strikte Arbeitsruhe zu feiern, und wir sind zu dem Schluss gokommen, dass es einzig und allein deswegen geschah, weil durch die konsequente Anwendung dieses Mittels, welches die Vorschule zum Generalstreik ist, die Politik in Misskredit geraten musste.

Was da der Arbeiterbewegung mit einem Federstrich geschadet wurde, das muss jetzt mühsam von der Gewerkschaftsbewegung wieder erobert werden.

An diesem Beispiel können die Arbeiter lernon, wohin es führt, wenn man Politikanten und Schönrednern auf Treu und Glauben folgt. Jeder dieser Allerweltsmenschen hat in seinem hohlen Sohädel das richtige Mittel aufbewahrt, wie dem Arbeiter zu helfen ist; jeder dieser Quacksalber weiss, was dem Arbeiter fehlt, nur der Arbeitor selber soll es nicht wissen. Das muss doch auffallen.

Nach diesen traurigen Erfahrungen ist es nun die höchste Zeit, dass die Arbeiter sich die Personen verdächtig ansehen, die sich gleich Taschendieben an sie herandrängen. Es kommt den Herren von der Regierung sehr zu statten, dass es der sozialen Kurpfuscher so unzählige giebt — man gewinnt dabei Zeit, Jeu Arbeitern das Pell vollends über die Ohren tu ziehen. Die Regierung weiss das auch sehr zu schätzen und begünstigt aus diesem Grunde die politische Quacksalberei in auffallender Woise. Die Zeit, wo die Regierenden in erster Verblendung den Kopf verloren hatten und nicht wussten, was gegenüber der Gefahr der Arbeiterbewegung zu thun sei, ist vorüber. Der galante Bülow

versteht sich besser auf Politik und Volkspsjchologio wie der polternde

*

Kürassier Bismarck. Man hat sich erholt vom ersten Schreck, und man bat gelernt.

Wenn so die Regierung ihr Ziel im Auge behält und die Taktik des Konzessiönchenmachens auch weiterhin verfolgt, dann dürften wir die Zeit erleben, wo die ganze sogenannte „moderne* Arbeiterbewegung das vergnügliche Kladderadatschgesicht aufgesetzt hat und das man den Rebellen dann hinhalten wird zum Beweise dafür, dass wir thats&chlich in der besten der Welten leben. Aber so ganz froh soll man sich seineB Sieges doch nicht werden. Wir werden uns in der Arbeiterbewegung einen Platz zu eroben Buchen, und wir werden nicht aufhören, den Herren ein wenig einzuheizen.

Man thut sich so viel zugute auf die Theorien von Marx, aber uns will doch «cheinen als treibt, man damit grossen Missbrauch. Wir sind keine sogenannten Marxisten, aber die Betonung des Klassenkampfes akzeptieren wir durchaus. Auf diesen Satz folgt ganz logisch der andere bekannte Satz, dass die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiter selbst sein kann. In dieser Beziehung nun lässt die Arbeiterbewegung viel zu wünschen übrig. Die Arbeiter sind zum Stimmvieh degradiert und nichts weiter als ein Werkzeug in den Hunden der Politikanten. Die Politiker taumeln von „Siog" zu *8iegu wie Besoffene; auch ihnen wird der Katcenjammor nicht erspart blcibon. Für oine ganae Kategorie von Menschen ist das Wählen zu einem Erwerbszweig geworden, aber es werden sich schon welche finden, die dafür sorgen werden, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Wie i6t nun im Gegensatz zu den „Wahlsiegen" die Lage dor Arbeiter beschaffen? Na, wir denken am liebsten garnicht daran, wie deren Lage immer verzweifelter wird. Wie erklärt man sich nun diesen Widerspruch zwischen den „Wahlsiegen" und dem materiellen Rückgang der Arbeiterklasse? Die Erklärung ist so leicht, dass sie jeder A. B. C.-Schütze der Nationalökonomie wissen sollte. Sie lautet: Die Gesellschaft basiert auf ökonomischer Grundlage — die Politik selbst ist nur ein Reflex dieser Verhältnisse.

Haben die Arbeiter erst einmal dieeen Satz begriffen, so zweifeln wir garnicht, dass sie sich auf den wirtschaftlichen Kampf besinnen werden. Denn schliesslich muss es solbst dem Dickschädligsten einleuchten: beruht die Gesellschaft auf wirtschaftlicher Grandlage, dann inuss auch der wirtschaftliche Kampf wirksam sein. Und dass er wirksam ist, wirksamer als der politische Kampf, dieser Thateache kann sich niemand ver-schliessen, wenn er nicht ein ausgemachter Ignorant oder ein Dummkopf ist. Die Erkenntnis von der Ueberlegenheit des wirtschaftlichen Kampfe« wird kommen, zweifellos kommen und in dem Masse steigen, wie die Politik sinken wird, um sich sogar den Blinden zu offenbaren. Gegenwärtig ist die Wählerei im Schwange wio die Panamahüte, aber sie wird es so wenig bleiben, wie es die Panamahüte bleiben werden. Was nach der Politik an die Reihe kommt, darüber besteht kein Zweifel; die Genossenschaften weisen uns den wirtschaftlichen Weg. Die Aristokratie des goldenen Kalbes zittert bei dorn Gedanken an Genossenschaften und Streiks, weil es da an ihr Heiligstes, deu Mammon, geht. Wie wenig tragisch sie es hingegen mit der Wählerei nimmt, zeigt sich wohl am besten darin, dass die Bourgeoisie selbst sowie deren Handlanger, die Regierung, die Wählerei in ausgedehntem Masse begünstigt, wohl wissend, dass sie da ein Abzugsventil haben, wo sie den protestlorischen Unmut nach Belieben ablassen können.

In Baden plant man eine Reform des Landtagswahlrechts im Sinne des Reichstagswahl rechts, und auch in den anderen Landtagen wird man damit folgen. Allerdings wird das sehr langsam gehen, weil es im Interesse joder Regierung liegt, so wonig wie irgend möglich zu geben, um den „Pöbel" so lange wio möglich niedor zu halten. Jetzt können die Arbeiterpolitiker nicht mehr mit dem Märchen von der Bedrohung des allgemeinen Wahlrchts hausieren gehon. Wir wünschen von Herzen, dass man auch in den Landtagen das allgemeine Wahlrecht einführt, weil uns das das beste Mittel scheint, der Politik den Nimbus zu nehmen, der sie jetzt noch umgiebt. Der Wählerei ist jetzt schon so viel, das weite Kreise thatsächlich übersättigt sind und nur noch pro forma mitmachen. Es giebt in der Arbeiterbewegung schon einen beträchtlichen Haufon Unzufriedener; au diese wenden wir uns, um sie zu organisieren zur Propagierung des Generalstreiks. Und wir werden Erfolg haben, denn noch sind nicht Alle vom Spleen der Politik ergriffen, und die Ergriffenen lassen sich am Ende noch kurieren.

Ach, wenn wir die paar Jahre zurückdenken, die seit der Begründung der ersten Arbeiter-Konsumgenossenschaft in Berlin verflossen sind, wie wir von der offiziellen Partei angepöbelt wurden, und wie sich trotzdem der Gedanke der Genossenschaft siegreich Bahn gebrochen hat, dann dürfen wir mutig in die Zukunft blicken. Zuerst verlacht, dann bedacht und nachgomacht, schliesslich die Pioniere verleugnet und sich selbst die Vaterschaft angemasst. Das ist der Lauf der Dinge. Aber vielleicht ist uns die Genugthuung vergönnt, später einmal daran zu erinnern. Seit Jahren propagieren wir mit idealer Begeisterung den Generalstreik als Mittel zur Niederwerfung der heutigen Wirtschaftsweise, ohne indes bei den eigentlich Interessierten Verständnis zu findon. Die Gründe dafür haben wir oben gezeigt Man schwärzte uns bei den politisch verblödeten Arbeitern an, wir besorgen die Geschäfte der Bourgeoisie. Allerdings konnte das nur bei den ganz Verblödeten gelingen, eine Parallele schleuderte dieson Vorwurf auf seiue Urheber zurück.

Ist es räumlich nicht gestattet, des langen und breiten dieses Thema hier zu behaudeln, so konnten wir uns nur darauf beschränken, den General st reik wieder einmal in freundliche Erinnerung zu bringen und seine Widersacher nach Verdienst zu brandmarken.

III.

Das Prinzip der anarchistischen Föderation Deutschlands.

Ans dem Voraufgegangenen dieser Schrift war zu ersehen, dass wir Gegner des heutigen Staatos wie überhaupt des Staates sind. Wir wollen den Staat mit all seinen Gobre9ten abschaffen, und um dies wirksamer ausführen zu können, haben wir uns in der anarchistischen Föderation zusammengeschlossen. Diese Organisation erstrebt:

1. in ökonomischer Beziebuug den Kommunisinus,

2. in geistiger Beziehung die anarchistische Ordnung.

Es wird nun nötig sein, darzuthnn, ob der Anarchismus auch seine Begründung hat, ob er sich aus der Natur des Menschen ableiten lässt, und ob die Bcthätigung der Menschen auf den Kommunismus hindeuten. In diesem Bemühen, den Anarchismus und den Kommunismus vom Leben des Menschen abzuleiten, haben wir einen treuen und verlässlichen Bundesgenossen: die Geschichte. Jedes Blatt der Geschichte erzählt uns von Blut und Kampf, von Kampf um Freiheiten. Die Sklavenaufslände, die Bauernrevolten, die Bürgerkriege und die Arbeiteraufstände, zeigen sie uns nicht den Drang zur Freiheit? Und ist der Zog der Landbevölkerung nach den freieren Industriebezirken nicht auch ein sprechender Zeuge dafür, dass der Freiheitstrieb im Menschen schlummert nnd sich immer mehr vom Niederen zum Höheren entwickelt? Jawohl, dieser Zug ist vorhanden, nnd man erträgt eher Hunger und Entbohrung. als dass man wieder in die Sklaverei zurückkehrt. Das Bestreben zu immer grösserer Freiheit ist vorhanden, und da setzen die Anarchisten nun ein und fordern die ganze Freiheit.

Es wird der beliebte Einwurf gemacht, die ganze Freihoit bedeutet das Chaos, dio grösste Unordnung, ein wüstes Drunter und Drüber. Wenn wir der pessimistischen Ansicht wären, dass dio Menschen dio Freiheit nicht zu handhaben verstehen, würden wir uns nicht der Gefahr aussetzen, der ein Anarchist ausgesetzt ist. Es ist wahr, die Menschheit ist dumm und brutal, aber sie ist es geworden durch die ewige Unterdrückung und Bevormundung. Man setze das Individuum in oine freie Atmosphäre, und wir werden Wunder erleben. Zu einer wahren Zauberformel wird sich die Freiheit erweisen. Die Wissenschaft weiss es längst, dass, wenn mau vorwärts schreiten will, man freie Bahn haben muss. Oder sollte et

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in sozialer und politischer Beziehung etwa eine andere Bpwandtnis tnit der Freiheit haben? Dieser Inkonsequenz wird wohl niemand zuneigen. Der Erfinder braucht Freiheit, und der Kulturtechniker, der Landwirt, braucht sie ebenfalls, um Tüchtiges zu schaffen. Denken wir an all die Gelohrten und Erfinder früherer Zeiten, die einer Idee wegen ins Gefängnis oder Irrenbaus gesteckt wurden, die verbrannt wurden oder den Giftbecher leeren mussten. Denken wir an jenen Freund, der die Idee gefasst hatte, mittels Dampfmaschine Schiffe auf dem Wasser vorwärts zu bewegen, und der dafür ins Irrenhaus gebracht wurde, oder an jonen, der die Brillengläser erfand. Hätto man diose Bahnbrecher ihren Wog gehen lassen, die Menschheit wäre früher der Vorteile teilhaftig geworden, die damit verbunden sind.

So ist es auch hinsichtlich der Anarchie. Man lasse uns doch einmal die Freiheit, ein Exempcl zu statuieren. Dieses Exempel würde den Bewois unserer Behauptung erbringen und das Eude der heutigen Gesellschaft bedeuten, und da es sehr viele Menschen giobt, die an dem Bestehen der heutigen Gesellschaft interessiert sind, so ist es nur natürlich, dass man im Anarchisten den grössten Feind sieht, der wert ist, gehängt zu werden. Aber alles bat seine Zeit. Sehen wir uns die Gcschichto an, was ist sie anderes als c'no grausige Epocho des Zwanges und der Unterdrückung. Sobald ein Volk nur einmal den Mut fand, diesen Zwang zu durchbrechen, bemerken wir einen grossen Fortschritt im kulturellen wie geistigen Leben, im Individuum wie in der Gesellschaft Das Volk fühlte sich bei diesen relativen Freiheiten äusserst wohl, und so setzen wir denn unsere ganze Hoffnung auf die ganze Freiheit.

Es ist eine Phrase, dass die Menschhoit für die Freiheit nicht reif sei. Sie war es immer und wird es immer sein. Der allerdümmsto hintcrpommersche Bauer, er weiss sehr genau, was Hecht und Unrecht, was Gut und Böse i.4. Vielleicht kann er manchem Theologie-Professor vorbildlich sein. Sein sittliches Gefühl, sein „kategorischer Imperativ" leiten ihn sicher durchs Lob»:n. Was wäre die Welt ohne den ordnenden und zusammenhaltenden Geist? Eine Arena, auf der wilde Tiere sich sinnlos zerfleischen. Was nütete alle Polizei und öffentliche Ordnung, wenn nicht der eine gewaltige Geist durch die Gewissen die Menschen regierte und zögelte. Und wenn auf jeden Monodien zwei Polizisten kfimen, dio uns immerwährend am Strick führten, so wäre eine zivilisierte Menschheit nicht möglich ohne diesen Geist. Es wird jeder, ausser den interessierten Gewaltmenschen, einsehen, dass die Polizei auch nicht im geringsten imstande ist, alle Beziehungen der Menschen zu einander zu regeln. Es würde uns manchmal traurig ergeben, wenn wir auf die Polizei und Rogieruwg warten wollten. Der Anarchismus will auch Ordnung nnd Wohlfahrt, aber er will nicht jene Ordnung der Polizei, in der eine Minderheit auf Kosten des Volkes in Saus und Braus durchs lieben fährt. Nein, diese Ordnung wollen wir nicht. Wir wollen au«h nicht jene Freiheit die uns irgend ein demokratisches „Volksparlament" aufzwängt, nein, wir wollen jene Freiheit die aus der freien Initiative und freien Vereinbarung hervorgeht. „Lust und Liebe zum hing, macht Müh* unn Arbeit gering" sagt ein altes Sprichwort. Wenn wir nun zu einer Sache gezwungen werden, so kann die Lust und Liebe nimmer vorhanden sein, die zum fröhlichen Schaffen erforderlich ist. Zwang macht das Leben zur Pein: jedes Lebewesen wird sich beeilen allen Zwang auszuweichen evtl. abzuschütteln. Es ist durchaus unwahrscheinlich, dass die Menschen nach Beseitigung des Zwanges wahnsinnig werden, und so kann inau sicher schliessen, das sie auch ohne Kommando die Fragen des täglichen Lebens regeln werden. Kein Mensch findet am Notleiden Vergnügen, und so wird man auch ohne Zwang darauf bedacht sein, alles dass zu thuu, was den Wohlstand sichert, und alles das zu unterlassen was eine Notlage herbei führen könnte. Seht doch den Ertrinkeuden, wie er um sein Leben nach den Strohhalm angelt, und wir sollten Lust am Hungertode haben? Indessen, der Vorwurf, das Niemand wird arbeiton wollen, kommt immer von Leuten, die ein Privilegium zu verlieren haben, und wenn der Proletar es nachplappert, so geschieht es aus reiner unverantwortlicher Dummheit, die er nun auch schwer biissen muss.

Die Machthaber haben es verstanden und verstehen es noch das Volk durch irdische und himmlische Märchen einzulullen, aber die Zeit wird kommen wo es nicht mehr möglich sein wird, und dieses Bewusst-sein verleiht den Anarchisten den Mut und die Energie allen Gefahren zu trotzen. Man verwendet heute die grösste Sorgfalt, aus dem gehorsamen Kinde einen gehorsamen Schüler, einen gehorsamen Lehrling, einen gehorsamen Soldaten, einen gehorsamen Unterthanen zu machen, zur Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung. Begreiflicherweise können da die freiheitlichen Keguugen nur schwach sein, aber sie werden wachsen und zur Blüte treiben. Die Herrschenden dulden keinen Willen neben den ihrigen. Wor die Freiheit will, der muss den Kampf gegen jode Herrschaft wollen. Die Freiheit ist die Grundidee des Anarchismus und sie ist mit dem Menschen so eng verwachsen, dass sie nur auf Kosten des Menschentums von ihr zu trennen ist. Die Anarchie ist kein System nach dem die Monschen gemodelt werden müssen, sie ist vielmehr das Leben selbst. Was wir erstreben ist das einfachste von der Welt. Aber es scheint .'das Verhängnis der Menschheit zu sein, auf Umwegen und •durch Wirrwarr zum Einfachen zu gelangen. Wir sind keine Utopisten und Phantasten. Wir sind keine Zauberer und wissen nichts vom Schlaraffenland. Wir vertrösten nicht auf die Zukunft und verlangen keinen Glauben an ein Dogma. Wir sind kein Geheimbund, sondern schaffend nnd wirkend vor aller Welt; Nacheiferung zu wecken. Wir stehen auf realen Boden, und das Gekläff unserer Widersacher kümmert uns nicht. Unsere Weltanschauung ist uralt. Wir haben ihr nur nach unserem heutigen Wissen eine neue Fassung ge.eben. Sie lautet: Der Anarchismus ist kein auf Schule ausgetüfteltes System, kein ton irgend einem Menschen ersonnenes Phantom, sondern basiert anf den ur-eigendsten Trieben der Menschon, dessen ganzes Wesen antiautoritär und. gegen jeden Zwang gerichtet ist. Auf diesen unerschütterlichen Felsen haben wir die anarchistische Föderation begründet, und auf diesen unerschütterlichen Felsen wird sich die anarchistisch-kommunistische Gesellschaft aufbauen Die Glosse und die Gerechtigkeit dieser Idee wird anaern Mut begeistern und uns zum Siege führen. Und nun:

Gehet hifi, gehet hin durch die Thore, bereitet dem Volke den Weg! Machet Bahn, machet. Bahn, räumet die Steine auf!

Werfet ein Panier anf über die Völker!

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Die anarchistische Presse in deutscher Sprache :

„Der freie Arbeiter"

erscheint wöchentlich ein Mal. Preis pro Quartal unter Kreuzband für Deutschland 1,60 M Ausland 1,85 M. Expedition : Berlin, Greifswalderstr. 46.

„Der Anarchist"

erscheint monatlich ein Mal. Preis für die Einzelnummer 10 Pf., unter Kreuzband für Deutschland, Oesterreich-Ungarn, Luxemburg 13 Pf., für die Länder des Weltpostvereins 15 Pf. — Expedition Berlin 0., Licbig-strasse 8 Hof III Geldsendungen sind an lludolf Lange, Berlin NO., Kleine Frankfurterstr. 14, Hof III zu richten.

„Der Weckruf"

erscheint 14 tägig. Preis 5 Pf. pro Nummer. E. Riedlin, Zürich III.

Badenerstrasse 258.

„Freiheit"

erscheint wöchentlich ein Mal. Preis pro Quartal 2 M. Helene Most,

New-York, City, 3465. Third Avenue.

Zeitschrift

für den individualistischen Anarchismus

erscheint monatlich ein Mal. Preis pro Nummer 10 Pf. Joh. Otten,

Hamburg-Barmbeck, Uhlenkamp 27.

Die der anarchistischen Bewegung nahestehende Presse :

„Der arae Teufel

erscheint wöchentlich ein Mal. Pir.-i pro Quartal 1,60 M., Ausland 1,85 M. Albert Weidner, Friedrichshagen b. Berlin.

* ■ i --.

Beitrittserklärungen zur Anarchistischen Föderation Deutschlands nimmt entgegen, sowie Auskunft er eilt die Geschäftsstelle: Paul Frauböse, Berlin N., Kopenhagenerstr. 74. «

Druck: M. Lehmann * Co., Berlin SO. 2G.

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