Lebendige, keine todten Gewerkschaften

Von

MAX BAGINSKI

Herausgegeben von

George Bauer. "Freiheit0, P.O. Box I7I9

NEW YORK

cu

Zum socialen Grundgedanken

Aus der Sintfluth von Theorien und Reformvorschlägen zur Arbeiterfrage ist es nothwendig, die Einfachheit des gestellten Problems zu retten.

Die Arbeiterfrage ist die Frage des modernen denkenden Proletariers nach dem Verbleib der Früchte seiner. Arbeit, nach seinem Menschenrecht, nach seiner Freiheit, Unabhängngkeit.

Er gelangt unter der Lohnarbeit nicht dazu, Mensch sein zu dürfen, er ist „Iland," Werkzeug zur Erzeugung von Wohlstand, Reichthümern für Andere.

Gegenwärtig — wir schreiben 1909, das Krisenjahr — ist der Arbeiter vielfach noch nicht einmal so glücklich, als ein solches Werkzeug Verwendung zu finden. Er hat in der heutigen Gesellschaft, welcher die ökonomisch privilegirten, parasitären sozialen Schichten den Sternpcl ihres „Rechts" und ihrer „Moral" aufdrückcn, weder ein Recht auf Arbeit, noch ein Recht auf Existenz. Er wird „eingestellt", wie eine Maschine, wenn es den Wucherern mit seiner Arbeitskraft als lohnend erscheint und abgelegt, wie ein Werkzeug in die Ecke gestellt wird, für das „augenblicklich keine Verwendung" vorhanden ist. Kein Quentchen sozialer Gerechtigkeit für ihn.

Er mag sich an den Staat wenden, an die Justiz, er wird nur billige Politikerphrasen, hohle Paragraphen zur Antwort erhalten, und, wenn er sich damit nicht beruhigen will, die rohe Büttelfaust zu spüren bekommen.

Das Leben des Arbeiters ist armselig, unsicher, unfrei. Er giebt der Gesellschaft Reichthum und empfängt dafür von Generation zu Generation sich hinschleppendes Elend. Er giebt ihr die Kulturmittel und wird von den Genüssen der Kulturverfeinerung ausgeschlossen. Er verschafft den nichtsproduzirenden Schichten Luxus und Müsse für Bildung, Wissensansammlung; ihm selbst werden nur Abfälle gereicht.

Die zu seiner Dupirung in Szene gesetzte Prokla-mirung der politischen „Freiheit und Gleichheit" trifft ihn daher nur wie eine Verhöhnung. Tausendfach wird ihm Gelegenheit zu beobachten, am eigenen Leibe zu spüren, wie diese Freiheit und Gleichheit nur Kulissen-Arrangement ist, hinter welchem die soziale, wirtschaftliche Despotie sich verschanzt hat, um desto unauffälliger brandschatzen zu können.

Diese Situation muss das Proletariat in die Position des Rebellen drängen. Das geschieht am Anfang mehr instinktiv, später mehr und mehr bewusst.

Das Proletariat lernt aus seinen täglichen Kämpfen, dass es immer auf sich selbst, seine eigene Kraft, Solidarität, zurückgeworfen wird. Wo immer es kleine Verbesserungen seiner Lage durchsetzt, geschieht das infolge eigenen direkten Eingreifens und Kämpfens. Im Ver-hältniss zur Stärke seiner Einigkeit, seiner revolutionären Einsicht, seiner Initiative und Solidarität stellt sich seine Lage dar; denn die Ausbeuterschaft giebt nur das an Zugeständnissen heraus, was ihr mittelst proletarischer Machtentfaltung abgerungen wird. Das Ziel dieser Machtentfaltung kann aber nicht sein, in den täglichen Streitfällen um geringe Lohnerhöhungen, Verkürzung der Stunden der Arbeitsknechtschaft u. s. w. stecken zu bleiben.

Das Ziel der Arbeiterbewegung ist der Sturz der Lohnarbeit, die Enteignung der privilegirten Diebe und mammonilischcn Raubverbändc, welche die Erde und die Früchte der Arbeit an sich reissen zur ungeheuren Selbstbereicherung und damit zur Verarmung, Verkrüp-pelung, Schändung der Volksmassen hinführen.

An die Stelle dieses Raubwesens tritt die Organi-sirung der Produktion durch freie Verbände der Arbeiter.

Die Mission der Gewerkschaften ist nicht erfüllt mit den Kämpfen innerhalb des Unheilskreises der Lohnarbeit; ihre historische Bedeutung liegt vielmehr darin, dass sie das Proletariat revolutioniren, mit Solidarität, Energie erfüllen und es so dahin bringen, die Ketten der Lohnarbeit und mit diesen gleichzeitig die Fesseln der Staatsknechtschaft zu brechen.

Gewerkschaften, die von diesem Geist nicht erfüllt sind, die, gleich dem Thier auf der dürren Heide, nur innerhalb des Zirkels der bestehenden räuberischen Wirthschafts- und Staatsordnung ihr Wesen treiben, bezeichnen wir als todte Gewerkschaften, als lebendige Arbeiterorganisationen jene (in Frankreich und anderen Ländern unter dem Banner des revolutionäern Syndikalismus kämpfend), in welchen die Klärung so weit sich vollzogen hat, dass unmittelbar die Frage gestellt wird: Wie sprengen wir den Elendskreis der Lohnarbeit? Und wie bekämpfen und siegen wir über jene Büttelschaften, wie Justiz, Militarismus, Pfaffenschaft, deren Gewalt über die Leiber und Geister den Babylonsthurm der sozialen Tyrannei mit Festungsgräben und Wällen umgiebt?

Bei dieser Klarheit angelangt, nimmt der gewerkschaftliche Kampf revolutionäre, direkte Form an.

Die verwirrenden Seitensprünge hören auf. Die vagen Hoffnungen auf Hülfe von Seite des Staates, der Parlamente, der politischen Parteien, so schädlich für die Entfaltung der eigenen proletarischen Kraft, werden begraben, wie sie es verdienen. Ueberwundene Kinderkrankheiten der Arbeiterbewegung!

Kontrakte mit dem Unternehmerthum, Schiedsgerichte, Zentralismus, Gcwcrkschafts-Bureaukratie, werden als Hemmungen und Hindernisse empfunden, die den Sieg des Proletariats über die materiell und intellektuell verfaulte alte Welt des Ilungerzwangcs und der Staatsbüttelei aufhalten, in graue Ferne rücken.

So weit die ökonomische Macht des Proletariats reicht, so weit reicht sein Antheil am Leben, an der Kultur. Nicht was dem Arbeiter gnädigst gegeben wird, nein, was er sich nehmen kann, darauf kommt es an.

Die erste Aufgabe der lebendigen Arbeiterorganisation ist es, den Arbeiter sich davon überzeugen zu lassen, dass er mit seiner Kameradschaft die Macht zur Gestaltung der sozialen, ökonomischen Zustände in der Hand hält.

Die syndikalistische Auffassung

Seit einigen Jahren liest man von einer neuen Richtung in der Arbeiterbewegung der romanischen Länder, Frankreich, Italien, Spanien. Diese neue Richtung nennt sich Syndikalismus,eine Ableitung von dem französischen

Worte „syndicat", das Gewerkverein bedeutet. Doch was darüber aus den Zeitungen zu erfahren ist, genügt nicht, sich ein Bild von der Idee und der Taktik der Syndikalisten zu machen. Gewöhnlich wird nur kurz von Ver-urtheilungen syndikalistischer oder antimilitaristischer Agitatoren zu Gefängnissstrafen berichtet, woraus dann der amerikanische Unternehmer oder Philister den Schluss ziehen mag, dass die neue Bewegung einen sehr gefährlichen Charakter haben müsse.

Der Generalstreik der Postbeamten und Telegra-phisten Frankreichs, dessen erster Vorstoss mit einem glänzenden Sieg der Streikenden über die Regierung endete, hat diesen Eindruck verstärkt. Der Streik ist von Neuem ausgebrochen (während dies geschrieben wird), weil die Regierung mit vagem Phrasengeflunker sich um die Erfüllung der Zugeständnisse hcrumzu-schlängeln versucht, die sie unter dem Druck des Generalstreiks machen musste.

Wie immer diese neue Schilderhebung der französischen Staatsarbeiter in der Form des Generalstreiks enden mag, so viel wird aus den Vorgängen schon allgemein verstanden, dass sich die syndikalistische Auffassung radikal wesentlich und taktisch von dem passiven Hindämmern der konservativen englisch-amerikanischen Gewerkschaften unterscheidet. .

Das Gefährliche des Syndikalismus für die bürgerliche Gesellschaft, für ihren Polizei- und Militärstaat, wird von den europäischen und amerikanischen Prcss-organen der Geldmächte und Regierungen mit Recht darin erblickt, dass sich seine Propaganda, seine Kämpfe bewusst nicht nur gegen die bekannten „Missstände in unserem Beruf" richten, sondern gegen die kapitalistischen und staatlichen Institutionen überhaupt.

„Dieser Streik," rief ein Abgeordneter in der französischen Deputirtenkammer aus, „ist ein Kampf gegen das parlamentarische Regime."

In der That, der Sieg der Syndikalisten würde die Beseitigung des betrügerischen parlamentarischen Regimes, der politischen Maskerade des korrupten Vertretungsystems bedeuten. Die Funktionen der Ausbeuterschaft, der in ihrem Dienst stehenden Regierung, die An-richtung von Blutbädern unter den Arbeitern, um sie der

Gier des Unternehmerthums gefügig zu machen, das Alles fände mit dem Sieg der Syndikalisten ein schmutziges Waterloo.

Der Organisirung der Produktion durch die Arbeiter selbst stände nichts mehr im Wege; die Liquidirung des kapitalistischen Staates, an welcher der parlamentarische Sozialismus so vergeblich und irreführend gearbeitet hat, könnte zur Thatsache werden.

Das ist es, was der Mastlx>urgeosie und ihren Presshusaren am Syndikalismus gefährlich ist und ihnen „zu denken giebt."

Vielleicht denkt sich sogar der amerikanische Labor Leader etwas dabei, obgleich das Denken sonst nicht zu seinen starken Leidenschaften gehört. Zum Beispiel könnte er denken, wie komisch und unsinnig es sei, dass sich die Arbeiter-Agitatoren Frankreichs das Leben mit Verfolgung und Gefängniss so sauer werden lassen. Könnten sie sich nicht ein Muster an den Beamten der American Fcdcration of Labor nehmen? Die gehen nicht in's Gefängniss; sie lösen die sozialen und ökonomischen Probleme gemüthlich in den gemeinschaftlichen Sitzungen mit der Civic Federation, deren Zweck es ist, die amerikanische Arbeiterschaft im Zustande der geistigen Unreife und der ewigen Unmündigkeit festzuhalten.

Gompers, Mitchell, Morrison werden unter bittender Anrufung aller Gerichtsinstanzen um das Gefängniss herumzukommen versuchen, trotzdem sie mit freudigen Händen zugreifen sollten. Das Gefängniss würde ihnen die Gelegenheit zu ihrer einzigen, eigenen That während ihrer ganzen Karriere als Arbeiterführer liefern.

Der Syndikalismus führt seinen Kampf nach zwei Seiten hin, gegen den Kapitalismus vor Allem und gegen dessen Institutionen der Gewalt, also gegen Staat, Militarismus, Justiz, wobei übrigens auch die Kirche als eine Mitverschworene der Geldmacht nicht mit Glacehandschuhen angefasst wird. In zweiter Linie aber richtet sich die syndikalistische Phalanx gegen das politische und gewerkschaftliche Advokatenwesen innerhalb der Arbeiterbewegung selbst, oder, konventioneller ausgedrückt, gegen das politische und gewerkschaftliche Repräscntativ-System.

Gegen den parlamentarischen Sozialismus, wie ihn die Sozialdemokratie propagirt, erhebt der Syndikalismus den Vorwurf, dass er vorgiebt, mit den politischen Mitteln der Bourgeoisie deren soziale und ökonomische Herrschaft stürzen zu können. Das ist ein Trugschluss. Die Politik der Parlamente ist auf die Bedürfnisse der bürgerlichen, der kapitalistischen Welt zugeschnitten, sie verwalten diese Welt und bewilligen die zu ihrem Weiterbestehen nothwendigen Gewaltmittel: Soldaten, Polizei, Gerichtshöfe. Wer als ein Vertreter der Arbeiter in's Parlament oder in die Regierung einzieht, sieht sich vor die Alternative gestellt, entweder blosser Statist zu sein, oder bei der Verwaltung und Sicherstellung der auf der Ausbeutung der Arbeit errichteten Staatsordnung mitzuhelfen. Wählt er, wie das mehr in der Natur der Sache liegt, den zweiten Ausweg, so avancirt er von einem would-be Arbeitervertreter zu einem wirklichen Repräsentanten der kapitalistischen Gesellschaft.

Darum, sagen die Syndikalisten, leiten der Parlamentarismus, die politische Aktion, immer wieder in den Sumpf der Ausbeutung und des politischen Streberthums zurück. Was aber das Schlimmste ist, sie erregen in den Arbeitern ganz falsche Hoffnungen und verkehrte Vorstellungen in Bezug auf ihre Befreiung aus den Fesseln der kapitalistischen Knechtschaft; denn sie verlegen den Schwerpunkt des Kampfes um diese Befreiung nach Aussen, in die politischen Institutionen und machen so den von der Sozialdemokratie selbst so oft zitirten Satz: ,,Die Befreiung der Arbeiter muss das Werk der Arbeiter selbst sein," zu einem Kindergespött.

An packenden Beispielen zur kräftigsten Beglaubigung dieser Auffassung fehlt es namentlich in Frankreich nicht.

Millerand, Briand, Viviani gelangten mit proletarischer Unterstützung in's Parlament, dann in's Ministerium, wo sie sich bald der röthlichen Vergangenheit entledigten und, wie es ihre bourgeoisen Vorgänger auch gewesen waren, ministrielle Zuhälter des Unternehmerthums wurden.

Zu ganz entgegengesetzten Ergebnissen gelangten in der revolutionären Bewegung solche Männer, welche, die Streberei gründlich verachtend, nach ihrem Einzug in's

Parlament die Hohlheit und Irreführung der „parlamentarischen Thätigkeit" entdeckten.

Proudhon bedauerte es nach den Pariser Aufständen des Jahres 1848, dass er als Abgeordneter in den Parlaments-Kommissionen nutzlos die Zeit vertrödelt habe, die besser zur Aufklärung und Agitation unter dem Volke selbst hätte verwendet werden können.

Domela Ncuwenhuis wurde seiner Zeit zum Abgeordneten für die holländische Kammer gewählt; aber es dauerte nicht lange, bis er erklärte, ein Revolutionär und freier Sozialist habe im Parlament nichts zu schaffen, er gehöre der direkten Propaganda an, die sich unmittelbar an den Verstand, das Gefühl der ausgebeuteten Volksschichten wendet.

Hier kann im Zusammenhang auch noch die bekannte Aeusserung Liebknechts eine Stelle finden, obwohl Liebknecht später als Abgeordneter sich „besser entwickelte" und „bedeutend klüger wurde." Vor Berliner Arbeitern sprach Liebknecht in seiner vorparlamentarischen Zeit Folgendes:

„Wer dem Volke Hoffnung macht, sich durch Wählen in die Parlamente befreien zu können, ist einfach ein Verräther an der Sache des Volkes. Der einzige Weg für das Volk, sich von dem schmachvollen Joch zu befreien, ist die gewaltsame Zerstörung des bestehenden Raubsystems und die Vertilgung der herrschenden und habsüchtigen Parasiten."

Der Vertretungsschwindel degradirt das Proletariat, weist ihm die Rolle des geduldig und passiv wartenden Klienten zu, der zum Spielball, Versuchskaninchen in den Händen der Advokaten wird. Weswegen denn auch die Advokaten die Volksvertreter par excellence sind.

„Betrachtet Euch den Aufmarsch der Advokaten," schrieb ein Blatt vor dem letzten nationalen Wahlhammelsprung in den Vereinigten Staaten, „Advokaten für die Präsidentschaft und Vize-Präsidentschaft; Advokaten für den Kongress, Advokaten für den Staatssenat; Advokaten für Mayor; Advokaten für den Bundessenat; Advokaten für alle zu ernennenden gutbezahlten Beamten; Advokaten, alle Rechnungen zu prüfen; Advokaten für jeden neu geschaffenen Posten; Advokaten für jede Pfründe und Sinekure; Advokaten für die gesetzgebenden Komites; Advokaten für Gouverneure; Advokaten für Clerks in den National-Komites; Advokaten für Richter; Advokaten selbst für jene Richter, welche die Gesetze für unkonstitutionell erklären, die von den anderen Advokaten fabrizirt wurden."

Auch für die Gewerkschaftsbewegung verwirft der Syndikalismus das Vermitteln und Repräsentiren, er propagirt die eigene Thatkraft, eigene direkte Aktion durch das Proletariat selbst. Im Generalstreik vereinigen sich diese Aktionen zu der, das ganze Proletariat umspannenden solidarischen That.

Für die Passivität und Gleichgültigkeit der Arbeiter-massen machen die syndikalistischen Wortführer den Aberglauben haftbar, dass dem Proletariat Hilfe und Rettung gebracht werden könne durch Kompromisse mit den herrschenden Institutionen und'Klassen.

In Konsequenz dieser Auffassung sind sie Gegner der Unterstützungskassen, Versicherungs-Gescllschaften. Das Proletariat kann damit nur die Verlängerung und grössere Dauerhaftigkeit seiner Knechtschaft und seines Elends „versichern."

Desgleichen muss im Abschliessen von Lohntarifen und Kontrakten mit dem Unternehmerthum eine Ver-wässerung, ja eine totale Aufhebung des proletarischen Kampfes um bessere Lebensbedingungen und weiterhin um die endgültige Emanzipation erblickt werden.

Ein Kontrakt, den die Gewerkschaft mit den Unternehmern auf ein oder mehrere Jahre abschlicsst, legt die Gewerkschaft für die betreffende Zeit in ihrer Agitation lahm, macht sie also inaktiv, zu einer todten Körperschaft, die sogar darauf kontraktlich verzichtet, eine etwa eintretende günstige Konjunktur für die Besserstellung der Arbeiterschaft auszunutzen.

Dazu wird die Thatsache der kapitalistischen Ausbeutung durch einen Kontrakt als zu Recht bestehend anerkannt, legalisirt. Der Arbeiter erhält eine völlig falsche Vorstellung von dem Verhältniss, das zwischen ihm und dem Kapitalisten besteht.

Da der Kontrakt auf juristischer Basis abgeschlossen wird, so erscheinen die Kontrahenten, Arbeiter und Unternehmer, Ausgebeutete und Ausbeuter, fälschlich als frei und gleichberechtigt. Das ist der Betrug der Jurisprudenz, der Gesetze überhaupt, dass sie durch eine para-graphirte Rabulistik eine papierene, nur dem Schein nach bestehende „Rechts-Gleichheit" schaffen, wo doch die tiefen sozialen und ökonomischen Abgründe, die zwischen den Besitzenden und Besitzlosen liegen, jeder wirklichen Gleichheit offenen Hohn sprechen.

Der Arbeiter ist nicht frei und gleichberechtigt beim Abschluss von Kontrakten mit dem Kapitalisten. Er lebt kärglich vom Verkauf seiner Arbeit, diese bildet die einzige Möglichkeit für seine Existenz. Würde er unter der Oekonomie von heute seinem Verstand und Gefühl frei folgen, die ihm sagen, dass Kapital und Staat ihm den besten Theil seiner Arbeitsleistung wegnehmen, so müsstc er jede Arbeit verweigern.

Ein Mensch, der seinen Lebensunterhalt nur durch den Verkauf seiner Arbeit erringen kann, was fast gleichbedeutend ist mit dem Verkauf seiner Persönlichkeit, ist niemals frei. Er ist ein Diener, ein Leidender unter einer falschen Oekonomie, die ihm Gewalt anthut, wie eine absolute Despotie ihre Unterthanen mittelst Gewalt niederhält. Der Proletarier ist ebensowenig frei, wie ein Mensch, dem ein Räuber eine Pistole auf die Brust setzt und dabei zu ihm sagt: "Du kannst Leben oder Tod wählen, aber wenn Du das Leben wählst, dann musst Du mir alles ausliefern, was Du bei Dir hast."

Der Syndikalismus verschwendet keine Zeit damit, einen "gemeinsamen Rechtsboden" für Kapital und Arbeit zu finden; er proklamirt die Unversöhnlichkeit der beiden und damit die Berechtigung und Nothwendigkeit der proletarischen Rebellion gegen alle. Institutionen, welche der Herrschaft des Kapitals als Stütze dienen. Wollen die Arbeiter frei werden, wollen sie nicht länger demüthig die Erfolge ihrer Arbeit an die oberen Schichten abliefern, so müssen sie das Kapital mit ihren eigenen revolutionären Machtmitteln bekämpfen. Und dieser Kampf, mit Ausdauer, Raffinement, Kriegslist, Opfermuth geführt, ohne Rücksicht auf die herrschenden Moralbegriffe, wird auf ökonomischem Felde, in der Fabrik, im Comptoir, bei der Beackerung des Bodens, beim Einbringen der Ernte ausgefochten.

Die syndikalistische Taktik unterscheidet sich radikal von der Methode der plumpen grossen Gewerkschafts-

Körperschaften England's oder Amerika's dadurch, dass sie die Arbeiter selbst zu Kämpfern und Akteuren im eigenen Befreiungskampfe erhebt. Sie giebt den Proletariern ihren Persönlichkeits-Werth wieder.

Max Stirner schrieb schon vor der Achtundvierziger Revolutions-Bewegung:

"Die Arbeiter haben die ungeheuerste Macht in den Händen, und wenn sie ihrer einmal recht inne würden und sie gebrauchten, so widerstünde ihnen nichts; sie dürften nur die Arbeit einstellen und das Gearbeitete als das Ihrige ansehen und gemessen. Der Staat beruht auf der Sklaverei der Arbeit. Wird die Arbeit frei, so ist der Staat verloren."

Passt ausgezeichnet zum Motto für die syndikalistische Taktik der direkten Aktion, des Generalstreiks, der Expropriation.

Nieder mit dem schleichenden Vermittlerthum zwischen Kapital und Arbeit. Fort mit den Ilarmonie-Vertrags-Ausflcich-Komites der Civic Federation!

Dieses Vermittlerwesen, durchtränkt mit glcissneri-scher Diplomatie, mit Jesuitismus, das von Kompromissen und Verrath lebt, ist zu einer Institution mit besonderen Interessen geworden. Und diese Interessen decken sich nicht mit denen des Proletariats

Es stellt auf wirtschaftlichem Gebiet das dar, was die Parlamentarier, die Mitglieder der Kommissionen der Legislaturen und Regierungen auf dem politischen Gebiet darstellen — es ist eine Täuschung des arbeitenden Volkes über die Ursachen seines Elends und über die Mittel zu seiner Befreiung.

Wie die Legislaturen und Regierungen immer die Sackgassen waren, in die sich die Sehnsucht der Arbeiter nach einer besseren Gestaltung ihres Looses hoffnungslos verrannte, so ist auch das gewerkschaftliche Vermittel ungs-System ein todtes Gewicht für den Fortschritt der Arbeiter-Bewegung zur selbstständigen Aktion.

Wo der Vertrctungs- und Ausgleich-Betrug die erste Geige spielt — wie leider hier in Amerika — da ist die Gefahr vorhanden, dass jeder grössere proletarische Vor-stoss, jede Streikbewegung schon in ihren Anfängen verkrüppelt, im Keim erdrückt und erstickt wird.

So mancher Streik mag schon mit Hilfe dieser Ver-mittelungs-Auguren, deren Thätigkeitsfeld immer hinter den Koulissen liegt, den Arbeitern befohlen worden sein, der den Kapitalisten und nicht den Arbeitern Vortheil und Profit eintrug.

Von den Streikbewegungen der letzten Zeit in den Kohlendistrikten dieses Landes, ist nur soviel bekannt und sicher, dass es jedesmal die Grubenlords und die Grosshändler waren, die dabei Profite herausschlugen. Sie erhöhten beim ersten Alarm jedesmal die Kohlenpreise, schlugen für höheren Gewinn die von den Heloten aufgehäuften Kohlenmassen los, unter dem Vorwand natürlich, die "unerhörten Ansprüche der Arbeiter" machten den Preisaufschlag nothwendig. Diese Ansprüche aber wurden nie erfüllt; in den sich Monate lang faul und trübe dahinschleppenden Verhandlungen ertranken die Streikpläne. Oder wie es im Zeitungsjargon heisst, die Verhandlungen ergaben kein Resultat.

Oh ja, sie ergaben ein Resultat, den Betrug nämlich, den Unternehmer und Arbeiterführer gemeinschaftlich am Proletariat begingen.

Es ist leicht zu verstehen, dass die Phitokraten lieber das „Martyrium" einer solchen „Streikgefahr" auf sich nehmen, von der sie wissen, dass sie nicht ernst ist, elend im Sande verlaufen wird, als dass sie selbst mit dem Lockout vorgehen. So können sie leichter die „öffentliche Meinung", oder vielmehr den öfentlichen Stumpfsinn für ihre Zwecke kapern.

Der revolutionäre Syndikalismus ruft den Arbeiter in eigener Person vor die Front; er will ihn nicht länger die Rolle des willenlosen Objektes spielen lassen, über dessen „richtige Behandlung" die Wortführer der ausbeutenden Klassen und die „Arbeiterführer" lange Auseinandersetzungen haben; er will aus ihm einen sclbstbe-wussten, sclbsthandelnden Menschen machen.

Die Syndikalisten deckten das Einfältige, Unhaltbare der Ansicht auf, die Gewerkschaften könnten mit dem Inhalt ihrer Kassen das Unternehmerthum besiegen. Was wollen im Ernstfalle die einigen Tausend, oder auch die paar hunderttausend Dollars bedeuten, die sich die Arbeiter in Form von Beiträgen an die Gewerkschaften vom Munde absparen! Gegen die riesigen, wenn es darauf ankommt, fast unbegrenzten Geldmittel des Kapitals in

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die Waagschale geworfen, bedeuten die Summen in den Gewerkschaftskassen eine bemitleidenswerthc Geringfügigkeit, ein Hohn auf einen ernsthaften finanziellen Kampf.

Diese Kassen haben aber ausser ihrer ökonomischen Ohnmacht auch noch die schädliche Tendenz, dass sie innerhalb der Arbeiterschaft selbst eine Spaltung hervorrufen. Sie theilen die Arbeiter in „gutstehende Mitglieder konservativer Gewerkschaften" und in lumpenproletarische Unorganisirte, um deren Schicksal sich die Organisationen nicht kümmern, die kurzerhand in Bausch und Bogen über Bord geworfen werden, was sich dann bei grösseren Streiks auf's Bitterste rächt, weil die von der Organisation vernachlässigten, mit Verachtung bc-ladenen Arbeiterschichten, nun auch ihrerseits keine Solidarität zeigen und den Unternehmern die Streikbrecher liefern.

Die Mitgliedschaft zur Union wird als ein Zunft-privilegium betrachtet und nicht als ein freier Solidaritätsakt. Anstatt allen Arbeitern den Eintritt in die Organisation so leicht wie möglich zu machen, werden sie ferngehalten, durch den gewerkschaftlichen Bureaukratismus werden sie angeekelt und verfallen dem Indifferentismus, der Apathie ihren eigenen Angelegenheiten gegenüber. Die Menge der Mitglieder verliert jede Kraft zur Initiative.

Das ist es, was mit Recht als todte Gewerkschaft bezeichnet wird.

Was die konservativen Gewerkschaften mit ihren vielberufenen „gutgefüllten Kassen" ausrichten können, kann man an dem Beispiel der englischen Trade Unions sehen, die den Arbeitern aller Länder als Muster zur Nachahmung warm empfohlen werden. Die Gewerkschaften England's repräsentiren die Arbeiteraristokratie und haben sehr wenig Gemeinschaft mit dem „Lumpenproletariat" und der „Kanaille". Dafür ist ihre Erziehung der Arbeitermassen zum solidarischen Empfinden und Handeln auch nicht weit her.

Während der letzten grossen Streiks (vor zwei Jahren) der Dockarbeiter und Seeleute in belgischen, französischen, deutschen Hafenplätzen, lieferte England, das Land der ältesten, konservativsten, reichsten Gewerk-

Schäften, den internationalen Schiffahrts-Gesellschaften die meisten Streikbrecher.

Es ist eben diese selbe Gewerkschaftstetidenz, ab-stossend nach Unten und kompromisslerrsch nach Oben, der es zu verdanken ist, dass die grossen Streiks in den verschiedenen Ländern durch die letzten Jahre hindurch miserable Karrikaturen und Parodien auf jeden ernsthaften ökonomischen Kampf waren.

In Amerika speziell wurden die konservativen Gewerkschaften in den letzten Jahren von pfiffigen Kapitalisten, „Philanthropen" und „Reformern" als Guillotinen gegen die Forderungen der Arbeiter benützt. Sie fielen unter der Leitung der American Federation of Labor auf den Profit-Patriotismus der amerikanischen Grossindustriellen hinein, die es mit der Hilfe der Zeitungen geschickt fertig brachten, die Arbeiter damit zu „bluffen" und zu ködern, dass die amerikanische Industrie die ganze Welt erobern werde, was dann natürlich für die amerikanischen Arbeiter eitel Freude und Wohlleben bedeuten würde.

Unter ausgiebigster Benutzung der nationalen Phrase haben es die amerikanischen Unternehmer in der That zu Stande gebracht, dass der Ertrag der letzten Jahre grosser industrieller Gründungen und kolossaler Profite fast völlig in ihre Hände gerieth. Die Arbeiter hatten das Nachsehen und wurden, anstatt mit höheren Löhnen, mit hohlen Worten von der erreichten grossen nationalen Glorie abgespeist.

Die Krönung und der Segen dieser Nationalglorie, Hessen sich dann in Gestalt der Krise, der Aussperrungen und Lohnreduktionen auf die Arbeiter herab.

Die Leiter der konservativen, und daher für den Befreiungskampf todten Gewerkschaften fliessen über von Ehrfurcht und Respekt vor Gesetz und Ordnung, vor dem Ausbeutungs-Privilegium und dem „wohlerworbenen Eigenthum" der Kapitalisten. Sie rufen den Arbeitern bis zur Heiserkeit den „gesetzlichen Weg" in's Gedächtniss, den sie beileibe nicht verlassen dürften.

Die Richtung dieses Weges aber bestimmen die Besitzenden, die Ausbeuter vermittelst ihrer Auguren in den politischen und juristischen Bordellen, die Regierungs-Kabinette, Parlamente, Gerichtshöfe genannt werden.

Der gesetzliche Weg führt unvermeidlich immer wieder unter die Autokratie der Geldmacht, unter die Hungerpeitsche der Profitmacher zurück und wenn die Menschenheerde ewig auf ihm fortbüffeln will, so soll sie sich auch nicht darüber wundern, dass sie sich stets unter der Obhut von Treibern, Hunden und Fleischern findet.

Jenseits des gesetzlichen Weges, jenseits von Kapitalismus und Staat liegt die Befreiung des Proletariats.

Die konservativen, in Prinzip und Taktik abgestorbenen Gewerkschaften, können nicht als Mittel zur Besserstellung der Arbeiter in Betracht kommen, sie müssen als Mittel zur Sicherung und Verlängerung der Superiorität der besitzenden und ausbeutenden Gesellschafts-Schichten angeschen werden. Sie sind das Prä ventivmittel des Kapitalismus und seines Staates gegen die proletarische sociale Revolution, die nach syndikalistischer Meinung der Schlussakt der Generalstreik-Kämpfe sein wird.

Der Geist des Syndikalismus verkörpert sich nicht in leblosen Statuten, nicht in Zwangs-Paragraphen, die zu ihrer Ausführung einen central istischen Apparat brauchen; er kommt zum Ausdruck im Föderativ-Ver-band, der von den Mitgliedern nicht Unterthänigkeit verlangt, sondern Verständniss, Initiative, Solidarität an Stelle des Kommandos und gewerkschaftlichen Musssoldatenthums setzen will.

Wenn vom revolutionären Gewerkschaftsgeist beseelte Arbeiter zum Beispiel den Achtstundentag haben wollen, so wenden sie sich nicht mit berüchtigter „Lobby" und Hintertreppen-Diplomatik an korrupte Politiker, die im Dienst der Gcldmächte stehen. Sic stellen selbst ihren Mann, arbeiten acht Stunden, legen dann einmüthig das Werkzeug hin und verlassen die Arbeitsstätte.

Solche direkte Aktion bringt auch unmittelbare, direkte Wirkung auf den Gegner hervor. Da giebt es keinen diplomatischen Betrug mehr, keine oberflächlichen Schönrednereien, kein Ausverkaufen einer nur allzu vertrauensvollen Arbeiterschaft. Der Kampf findet von Front zu Front statt mit offenem Visir.

Allerdings würden damit auch die gemüthlichen Bankette, Toaste, Friedens- und Harmonie-Pauken in

Fortfall kommen, bei welchen Plutokraten und Gewerkschaftsleiter geruhsam über die Vertheilung des Felles der Arbeiterschaft zu berathen pflegen.

Auch mit Wahlschacher und sonstigem Kuhhandel wäre dann nicht mehr viel Staat zu machen, was freilich von Gompers und Seinesgleichen eigentlich begrübst werden sollte. Denn sie könnten sich nun nicht mehr so gottsträflich mit ihrer Affenschwanzpolitik blamircn, wie sie es noch bei der letzten Präsidentenkrönung so unvergleichlich fertig brachten.

Um die eigene Kraft des Proletariats so wirksam und so weitreichend wie nur möglich zu machen, muss mit dem zünftigen, korporativen Prinzip in der Gewerk-schafts-Bewcgung gebrochen werden. Der Syndikalismus pflegt nicht den speziellen Branchengeist der Schlosser oder Maurer, was zur Engherzigkeit und zum kleinlichen Berufs-Egoismus führen würde, er lehrt, dass alle Arbeiter, welcher Branche, welcher Nation, Rasse oder Geschlecht sie auch angehören mögen, in gleicher Weise unter der Ausbeutung und Despotie zu leiden haben, und daraus zieht er den Schluss, dass der gemeinsame Kampf, die Solidarität der Arbeiter im weitesten internationalen Sinne die natürliche Konsequenz der proletarischen Propaganda ist.

Die zünftigen Branchen-Organisationen weichen dem regionalen, territorialen freien Verband. Die Organisation auf industrieller Basis, wie sie von den I. W. W. angestrebt wurde, geht den Syndikalisten noch nicht weit genug, auf was sie hinzielen, ist die solidarische Vereinigung, die Födcrirung und Aktion aller Arbeiter der in Frage kommenden Distrikte, oder im weiteren Sinne, der Länder.

Diese Phalanxen mögen sich national und international mit anderen proletarischen Armeen verbinden und über den städtischen, nationalen zum internationalen Generalstreik gelangen, der sich nicht mehr allein gegen die Gier des Einzelunternehmers, sondern gegen die kapitalistische Gesellschaft richtet.

Kampfmittel des Syndikalismus.

Das Feld, auf welchem die Schlachten gegen die herrschende Oekonomie geschlagen werden, ist weder in der Theorie noch auch in der Praxis fest, unabänderlich begrenzt. Wer das Gegentheil behauptet, stempelt damit die Arbeiterbewegung zu einer Orthodoxie, die nicht fähig wäre, neue Betrachtungsweisen und Kampfmittel in sich aufzunehmen.

Doch aus den Brandungen, Wogen des Kampfes, erhebt sich im Laufe der Zeit mit ihren gewonnenen und verlorenen Gefechten ein starker Gedanke, der wie eine Naturgewalt unmittelbare Wirkung auf die Köpfe und Gemüther übt.

Diese Wirkung ist in der Arbeiter-Bewegung der letzten fünf Jahre dem Generalstreik zuzuschreiben.

Es ist nicht das erste Mal, dass er drohend in Sturm und Flammenzeichen dem bösen Gewissen der alten sterbenden Welt erscheint. Die direkte Anwendung seiner ökonomischen Machtmittel wurde dem Proletariat schon von dem bakunistischen, anarchistischen Flügel der Internationale empfohlen.

Zum grossen Schaden der internationalen Bewegung siegte die politische Phrase. Sic hat unter Führung der pseudomarxistischen Richtung die Bewegung länger als ein Menschenalter hindurch gelähmt.

Diese Sachlage beginnen die Arbeiter zu begreifen und dabei besinnen sie sich auf ihre eigene unüberwindliche Stärke.

Der gegenwärtige Wirthschafts-Apparat ist ein äusserst komplizirter. Wenn früher in einer Stadl die Schneider oder Schuhmacher in den Streik traten, so machte das geringen Eindruck auf das Wirtschaftsleben, wenn aber jetzt nur die Fuhrleute der Lieferungswägen in einer grösseren Stadt streiken, so kann das zur allgemeinen, sich über den ganzen Distrikt, ja über das ganze Land erstreckenden Kalamität, zu Profitverlusten für Händler, Unternehmer von Millionen Dollars führen.

Ein Generalstreik der Eisenbahner oder Seeleute in nur ein paar Ilafenplätzcn in Europa und Amerika könnte einen grossen Theil des Welthandels und Weltverkehrs lahmlegen, könnte den Zusammenbruch von Handelshäusern und Banken im Gefolge haben. Bis in die höchsten Regionen des Grosshandels und bis hinunter zu dem kleinsten Gewürzladen würden sich seine Konsequenzen zerstörend fühlbar machen.

Auf die Propaganda unter den Verkehrsarbeitern für den Generalstreik, legen denn auch die Syndikalisten mit Recht das höchste Gewicht.

Der Generalstreik zerstört in seiner praktischen Anwendung die Lüge, dass die Kapitalisten die Herren der Industrie sind; vom ersten Tage des Generalstreiks an wird es klar, dass die bestimmende Kraft im Wirtschaftsleben die Arbeit ist.

Dieses Kampfmittel des Syndikalismus ist von tief' ster zersetzender Wirkung auf die bestehende Raubordnung und gleichzeitig von höchster agitatorischer Werbekraft.

Amerikanische Plutokraten und durch sie manche Richter möchten mit dem Schwert des Gesetzes den „Sympathiestreik" ermorden. Sehr begreiflich, denn der Sympathiestreik wird in weiterer Konsequenz zum von ihnen wie Gift gefürchteten Generalstreik.

Dieser ist, wenn auch nur propagandistisch betrachtet, die tiefgreifendste wirtschaftliche Demonstration gegen die Ausbeutung, gegen die Enteignung der Volksmassen durch wenige reiche Individuen, Korporationen und Monopole.

Aber er ist mehr, wird mehr, je reifer die Arbeiter für seine Anwendung werden.

Mit dem Generalstreik kann das Proletariat die Bourgeoisie mitsammt ihrer Ordnung aushungern. Es wird Leute geben, die hier einwenden wollen: Ja, aber das Proletariat wird früher vom Hunger überwältigt werden, wie die besitzende Klasse.

Das ist ein schwaches Argument. Die kapitalistische Oekonomie hat eine ihr entsprechende kapitalistische Moral erzeugt. Auch der Generalstreik hat seine eigene Moral, und deren erster Paragraph lautet: Das arbeitende Volk hat das Gebrauchsrecht für jene Produkte, die es selbst durch eigene Anstrengung hervorgebracht hat

Die kommende ökonomische Revolution, deren Einleitung der Generalstreik sein muss, wird die Sättigung der Kinder, Frauen und Männer des Volkes als noth-wendig erachten, aber sie wird keinen Pfifferling um die Heiligkeit des Eigenthums der reichen gesetzlichen Diebe geben.

Die gegenwärtigen Machthaber in der Oekonomie sind gewalttätige Usurpatoren. Sic haben keinen anderen Besitztitel auf den Ertrag der Arbeit von Millionen Industriesklaven als den des Hungers, mit welchem sie gegen die Arbeitenden operiren und den der Staatsgewalt, mit der sie jeden Widerstand von unten auf zu Boden schlagen

Ihre Entthronung wird die grösste soziale Wohlthat sein; die Expropriation ihres Raubbesitzes die Vorbedingung allgemeiner und industrieller Befreiung

Allerdings, Produktion, Distribution, Verbrauch sollen nach dem siegreichen Generalstreik fortgesetzt werden, ohne den Unternehmer, den modernen Sklavenhalter ! Ein ungeheuerlicher Gedanke! Der bescheidene Proletarier kriegt eine Gänsehaut, wie der hirnschwache Glaubenspinsel eine bekommt, wenn er sich den sogenannten Weltschöpfer und Erhalter als ausgestrichen aus dem Weltplan vorstellt

Der glaubt in seiner heiligen Einfalt, die Welt müsse von jenseits der Wolken aus regiert werden. Aehnlich der Proletarier, der kein Vertrauen in die eigene soziale Gestaltungskraft hat. Ihm wird es unsäglich schwer sich eine Wirtschafts-Organisation vorzustellen, die nicht von den Officen aus autoritär geleitet wird, in welchen die Milliarden-Profite gebucht und zur Vertheilung an die Nurparasiten aufgehäuft werden, die Profite, welche ihm selbst aus den Knochen gepresst wurden.

Das Vcrständniss für die Möglichkeit, ja für die Notwendigkeit der Expropriation, der Ueberführung der Produktion und der Verkehrsmittel in die Hände der Arbeitenden, wird von der syndikalistischen Agitation sorgfältig gepflegt. Ist es doch nicht allein eine Vorbedingung für den Sturz der alten Institutionen, sondern auch die Voraussetzung und Garantie frü die solide Eta-blirung der freien menschlichen Genossenschaft.

Was Nennenswertes in den letzten Jahren errungen worden ist, wurde hauptsächlich mit Hilfe des Generalstreiks durchgesetzt.

Es waren die Generalstreik-Bewegungen, die den Phasen der russischen Revolution den Charakter verliehen und alle Beurteiler der Situation, soweit sie nicht durch eine besonders gefärbte Brille sehen, sind darin einig, dass es von der Intensität, der Kraft der wirthschaftlichen

Kämpfe der russischen Arbeiter und Bauern abhängen wird, wie lange das Czarenregime sich mit seinen Mörderbanden noch aufrecht erhalten kann.

Vor allem könnte der erfolgreiche Generalstreik, namentlich wenn er mit direkter, revolutionärer Aktion der Bauern gegen die Gutsbesitzer verbunden wäre, die Wirkung hervorbringen, dass dem Czarenthum der Kredit von den europäischen und amerikanischen Geldinstituten abgeschnitten würde. Die ungeheuren Summen, die dabei in Betracht kommen, könnten infolge des Stillstandes der Industrie nicht verzinst werden. Das müsste endlich zum Debaklc führen, denn nur mit diesem Kredit, den das mit der Knuten-Regierung sympathisirende Geldmenschengeschmeis's dem Czarismus bewilligt, gelang es diesem bisher, den Anprall der Revolution auszuhalten.

Dass der Generalstreik die wirksamste Waffe ist, behaupten nicht nur die Syndikalisten. Selbst die parlamentarischen Sozialisten, die ihn mit bornirter Geringschätzung zu behandeln pflegten, versuchen ihn zum Dienst für ihre politischen Scheinaktionen zu degradiren. Sie möchten ihrem blutlosen Wahlhnmbug gern mit seiner Hilfe ein bischen pulsirendes Blut zuführen, doch schrumpft die Begeisterung für ihre Patentheilmittel merklich zusammen.

Die Zeit der politischen Reformen und Revolutionen neigt sich dem Ende zu. Die höchsten Sprossen der politischen Möglichkeiten sind erreicht. In den Republiken, den demokratischen Staaten bleibt den Nurpolitikern fast nichts mehr zu wünschen übrig. Das Volk schwelgt ordentlich in politischen „Rechten und Freiheiten" und doch ächzt es unter der ökonomischen Geissei, darbt, zittert in Knechtschaft und Existenzunsicherheit.

Das bereitet den Boden für die revolutionäre wirtschaftliche Aktion.

In einer gewerkschaftlichen Broschüre, die schon vor nahezu zwanzig Jahren geschrieben wurde, sagte der Verfasser, Paul Kampffmever:

„Alle Massenhandlungen, welche sich gegen die wirtschaftlichen Fundamente der bürgerlichen Gesellschaft, gegen das heutige System von privat wirtschaftlichen Ausbeutungsrechten und Verbindlichkeiten richten, sind geradezu todtbringend für die bürgerliche Gesellschaft. Und ein organisirtes, vom revolutionären Geist erfülltes Proletariat kann zahlreiche Stützen dieses Systems durch massenhafte, einheitliche Verweigerung bestimmter gesellschaftlicher Verbindlichkeiten zum Schwanken bringen

„In den Emanzipationskämpfen der französischen Bauern vor und während der grossen Revolution spielte diese Verweigerung der privaten und staatlichen Verbindlichkeiten (der Zinsen, Feudallasten, Pachten, Steuern) eine sehr grosse Rolle."

Freilich, die ökonomische Macht zur Beherrschung und Leitung der Produktion fällt den Arbeitern nicht ohne ihr Zuthun in den Sehooss (in stiller Ergebung in das Fatum der wirlhschaftliehcn Entwicklung) nein, sie muss von ihnen mit Ausdauer und Kraft selbst erkämpft werden. Die Arbeiter träumen sich zu leicht in den Gedanken hinein, dass eines Tages die „soziale Revolution" gleichsam wie eine überirdische Gottheit zur Erde herabsteigen wird, um alle Wunden mit einmal zu heilen und alle Thränen mit einmal zu stillen. O nein! die Sonne, die heute noch bei ihrem Untergange auf gefesselte Sklaven herabblickte, wird nicht morgen bei ihrem Aufgange auf freie Menschen niederschauen. Die. Arbeiter haben sich durch eigene Kraft zu selbstdenkenden, selbsthandelnden Menschen zu erziehen, sie haben sich zu dem grossen Berufe der Verwaltung und Leitung der Produktion heranzubilden.

Wie die Schönheit des politischen Frosch-Mäusekrieges verblasst, mager und schäbig wird, wird auch schon an manchen Steilen im sozialdemokratischen Lager scharf empfunden.

Die „Leipziger Volkszeitung" schrieb in einem Artikel über den revolutionären Syndikalismus:

„Der Syndikalismus hat eine grössere Aufmerksamkeit gefunden, als einer bloss nationalen Abart der Arbeiterbewegung sonst zukommen würde. Das liegt in den Zcitverhältnissen, in der Entwicklungsstufe der Arbeiterbewegung. Bs kann nicht bezweifelt werden, dass die parlamentarische Periode in dem Befreiungskampfe des Proletariats ihren Höhepunkt, überschritten hat. Diese Periode war die Zeit, in der unter der unbestrittenen Herrschaft der Bourgeoisie im Staate zugleich mit dem sich riesig entwickelnden Kapitalismus auch die Arbeiterklasse zu einer grossen revolutionären Macht emporwuchs. In dem Maasse, wie dieser Erfolg sich einstellt, in dem Maasse verliert das Mittel selbst seine Bedeutung; je mehr die Macht wächst, um so mehr tritt die Frage des Endkampfes, der Ueberwindung des Kapitalismus in den Vordergrund. Bei diesem Endkampf haben nicht die parlamentarischen Kampfcsmittel, das Wählen und Reden, die meiste Bedeutung, sondern die Aktionen der Massen selbst. Die Massenorganisationen der Arbeiterklasse bilden aber die Gewerkschaften

Und worin besteht, im syndikalistischen Sinne, deren Aufgabe? In der Förderung und Stählung des revolutionären Willens des Proletariats. Einer Besprechung des Syndikalismus von Professor Werner Sombart wurden die folgenden Sätze entnommen:

„Es gilt (den Syndikalisten) vor Allem alles zu fördern, was dem Proletariat seinen unversöhnlichen Gegensatz zur bürgerlichen Welt immer wieder zum Bewusst-sein bringt, was seinen Ilass gegen diese Welt und ihre Träger nährt und auch von Neuem schürt. Da erscheint nun aber in der Gegenwart als das geeignetste Mittel, jene Zwecke zu erfüllen : der Streik. In ihm bricht jedesmal von Neuem der Antagonismus zwischen Proletariat und Bourgeoisie hervor; in ihm wird jedesmal der Hass von Neuem lebendig. Er entfaltet aber auch die Eigenschaften im Proletariat, die dieses braucht, um die soziale Revolution zu vollbringen und die neue Gesellschaft aufzubauen : Solidarität, Opfermuth, Begeisterung, Elan. Freilich darf dann der Streik nicht eine wohlerwogene Geschäftstransaktion sein, sondern muss spontan aus den Entschlüssen der aufgereizten Massen hervorbrechen; darf nicht ermöglicht werden durch die Verwendung sorgsam aufgesparter Beiträge, sondern muss ruhen ausschliesslich auf der Fähigkeit, Entbehrungen zu ertragen, und auf der Opferwilligkeit anderer Arbeitergruppen, die nun erst freiwillig herbeieilen, um die Streikenden zu unterstützen.

Ist jeder Streik dieser Art ein Mittel, die revolutionäre Leidenschaft neu zu beleben, so in ganz hervorragendem Maasse der Generalstreik — die greve generale. Denn in ihm ist jeder Gedanke an engherzige, korporativistische Erfolgs- und Geschäftspolitik ausgelöscht: das Proletariat als Klasse erscheint auf dem Plane, und die Schlachtordnung ist nicht mehr die einer einzelnen Arbeiterschaft gegen einen einzelnen Unternehmer, sondern Klasse gegen Klasse. Jeder Generalstreik nimmt somit gleichsam die letzte grosse Entscheidungsschlacht vorweg: ist eine Art von Feldmanöver. Denn offenbar: die Form, in der schliesslich einmal die Ueberführung der Produktionsmittel aus dem Besitze der Unternehmerklasse in den der Arbeiterklasse erfolgen wird, wird der allgemeine Generalstreik sein. (Gleichsam eine trockene Barrikade.) Ja — dem Generalstreik wird von den Syndikalisten eine so grosse Bedeutung für die soziale Revolution beigemessen, dass man in ihm schlechthin das Symbol erblickt.

Wahrscheinlich wird sich nun bei dem Versuche des Proletariats, sich in den Besitz der Produktionsmittel zu setzen, der Staat als Vertreter der kapitalistischen Interessen hindernd in den Weg stellen. Um also den Uebergang in die neue Gesellschaft möglichst glatt zu vollziehen, wird man beizeiten dafür Sorge tragen müssen, dass die alte Staatsmaschine demolirt werde. Alles, was dazu beitragen kann, ist willkommen. Da aber der kapitalistische Staat vor Allem auf der Armee ruht, so gilt es in erster Linie, deren Macht zu brechen. Dazu dient die antimilitaristische Propaganda. Der Antimilitarismus steht also in einem besonders engen und organischen Zusammenhange mit dem Syndikalismus."

Die antimilitaristische Agitation in Verbindung mit der ökonomischen Aktion, bezeichnet den Punkt, wo das Proletariat der Neuzeit weit über die früheren politischen Revolutions-Bewegungen hinausschreitet.

Dass es vor allem nothwendig ist, die eigentlichen Machtmittel des zu stürzenden Systems brach zu legen, zu zerstören, fiel den politischen Revolutionären früherer Perioden womöglich gar nicht, oder doch erst viel zu spät ein.

Sie begannen gewöhnlich mit emphatischen Men-schenrechts-Erklärungen, vergassen aber dabei, dass solche schönen Dinger „droben hangen bleiben unveräusserlich", sich nicht auf die leidenden Menschen herabzulassen geruhen, wenn diese nicht Sorge dafür tragen, dass das alte fortzuschaffende Unrecht seiner Waffen und Stützbalken beraubt wird.

Die Syndikalisten beginnen schon jetzt mit der Propaganda gegen den Militarismus und seinen Kadavergehorsam, damit die kommende Massenerhebung das furchtbarste Machtmittel der Plutokratie und des Gewaltstaates in einem möglichst zweifelhaften, zerbröckelnden, geschwächten Zustand antrifft.

Die Entstehung des modernen Ausbeuterstaates ist ja, wenn wir die Vergangenheit durchforschen — darauf zurückzuführen, dass eine Klasse gewaltthätig „Eigenthum" an sich riss und sich als Obrigkeit, Staat konsti-tuirte, um dieses Eigenthum wiederum mit Gewalt zu beschützen, es für unantastbar für die Eigenthumslosen zu erklären.

Der Staat verdankt seine Existenz der Beraubung der Vielen durch die Wenigen. Die Besitzenden, bei Weitem in der Minorität, konnten nicht daran denken, ihr Raubprivilegium allein mit Logik zu vertheidigen, sie mussten darauf bedacht sein, es gegen die Menge der Enteigneten mit Gewalt aufrecht zu erhalten. So brauchten sie eine Regierung, Polizei, Militär.

Mit der Besiegung, Beseitigung dieser Institutionen, muss jede Volkserhebung rechnen, die den Sturz der alten sozialen Ungerechtigkeit herbeiführen will.

Im Gegensatz zu den trügerischen Praktiken der „Volksvertreter", der Vermittler aller Art zwischen Arbeit und Plutokratie, propagirt der Syndikalismus individuelle Initiative.

Nicht das Grab soll die Gewerkschaft für die Persönlichkeit des Mitgliedes sein, die Organisation soll vielmehr das Mittel zur Erhöhung der in ihr enthaltenen individuellen Energie abgeben.

Emile Pouget, einer der besten Interpreten der syndikalistischen Idee, bemerkt in einer Erläuterung des Organisationsprinzips :

„Gewiss ist es gut, dass einer seinen regelmässigen Beitrag entrichtet, aber das ist erst der kleinste Theil der Verpflichtungen, welche der überzeugte Kämpfer sich selbst und folglich auch der Gewerkschaft gegenüber zu erfüllen hat. Er soll vielmehr zur Ueberzeugung kommen, dass die Hauptstärke der Gewerkschaft weniger aus der vollen Kasse hervorgeht, als daraus, dass die Kraft der Einzelnen durch die Organisation gestärkt und vervielfältigt wird.

Die Individuen sind die Elementarkräfte, aus denen die Gewerkschaft errichtet wird.....

„In einer Gewerkschaft, die richtig funktionirt, kommt die Persönlichkeit des Gewerkschafters jederzeit zur Geltung. Ja, nicht nur, dass seine Unabhängigkeit vollständig gewahrt bleibt, sie kommt sogar einzig in dieser Umgebung zu ihrer vollen Entfaltung.

Zweifellos ist es möglich, dass in gewissen heutigen Organisationen diese volle Entfaltung des Einzellebens nicht erreicht wird. Aber diese Entwicklungshemmung darf niemals für irgend einen Arbeiter, welches immer seine Gesinnung sei, als zureichender Grund betrachtet werden, der ihn vom Eintritt in die Gewerkschaft abhält. Im Gegcntheil. Die, denen die Unvollkommenheit der Berufsorganisation zum Bewusstsein kommt, haben die Pflicht, für die organische Entwicklung in ihrem Beruf zu wirken. Die Gewerkschaft ist ein lebendes Gebilde; sie ist die jederzeit veränderliche Schöpfung der Individualitäten, die sie bilden, und sie formt sich je nach der Geistesrichtung ihrer Anhänger. Den selbstständigen Arbeitern erwächst darum die Aufgabe, sie nicht zum Stillstand kommen zu lassen und zu verhindern, das sie verknöchert, was also in der syndikalistischen Terminologie mit direkter Aktion bezeichnet wird, kann am wirksamsten zum Ausdruck und zur Geltung gelangen, wenn die betreffende Handlung die Summe der in der Organisation verkörperten individuellen Intelligenz und Willcnsthätig-keit ist/'

Daraus ergiebt sich die Parole: Fort mit dem gewerkschaftlichen Musssoldatenwesen, das doch nur immer eine Bleikugel für jede lebendige frische Aktion sein wird. Und fort auch mit dem plumpen, unpraktischen Zentralapparat, der jede freie starke Erschliessung auf den Kampfplätzen selbst unwirksam macht oder tödtet.

Ein Streik, Boykott, Lockout, Sabotage, in diesem Sinne geführt, wird nie seine tiefe Wirkung verfehlen. Selbst wenn die Erfolge anfangs nur propagandistische sein sollten, so bilden diese doch schon für die Zukunft eine Garantie dafür, dass die weiteren Kämpfe endlich auch den wirklichen materiellen Sieg bringen werden.

Ueber die Vortheile der freien Initiative und sofortigen Aktion schrieb der eben erwähnte Agitator des Syndikalismus nach dem Blutbad, das Clemenceau von seinen Kriegsknechten im August vorigen Jahres unter Pariser Arbeitern anrichten liess, die den streikenden Brüdern eines Vororts mit einem Ausflug ein Zeichen ihrer Solidarität bringen wollten:

„Es wäre zu wünschen gewesen, dass sofort nach dem Arbeitermord von Dravail, ganz aus eigenem Entschluss, ohne auf irgend ein Signal zu warten, die Arbeiter die Arbeit niedergelegt hätten. Das grosse Unrecht ist, immer zu sehr auf irgend eine Zentralleitung zu blicken und von ihr die Ordre zu erwarten. Dieser bedauerns-werthe Zustand erzeugt bei denen, die in demselben verharren, einen Aberglauben, der vom revolutionären Standpunkte aus das Allergefährlichste ist, was es giebt. Anstatt selbst zu handeln, erwartet man einen Wink von oben . . . und die günstige Gelegenheit geht vorüber. Nachdem ist es sehr bequem, gegen die unverständliche Unthätigkeit zu donnern. Wäre es nicht besser, seine Selbstständigkeit zu beweisen und zu handeln, ohne zu warten ?

Wir haben in Italien ein Beispiel davon gesehen. Zu mehreren Malen in diesen letzten Jahren haben die Arbeiter von Mailand, Turin und Rom aus eigenem Antrieb die Arbeit niederlegt, um dadurch die Angriffe zu rächen, welche die Arbeiterklasse getroffen hatten. Und der plötzliche, selbstständigc Entschluss dieser Bewegungen wurde nur von ihrer Einmüthigkeit übertroffen. So hatten z. B. in Mailand nicht nur die Fabrikarbeiter ihre Tretmühle verlassen, sondern die Strassetibahnen blieben stehen, die Zeitungen erschienen nicht, die Wäscherinnen und Näherinnen verliessen ihre Werkstätten, die Läden wurden zugesperrt, die Eisenbahnzüge wurden an der Abfahrt verhindert. Und gab es, um diese herrliche Massenbewegung einzuleiten, eine Ordre von einer Zentrale oder von irgend einem Komitee? Keineswegs! Im Laufe des Streiks der Gasarbeiter von Mailand geschah der Angriff der Gensdarmen auf das Volk zwischen 12 und I Uhr Mittags und von 3 Uhr Nachmittag war alle Arbeit in der Stadt vollkommen eingestellt.

Es ist die Fähigkeit zu diesem plötzlichen, selbstständigen, muthigen Handeln, die wir uns noch nicht genügend zu eigen machen! Wir sind zu sehr geneigt, die Sorge, zu handeln, unseren Komitees zu überlassen — und dann auf sie zu schimpfen, wenn wir selbst nicht viel geleistet haben. Wir müssen handeln! Wir müssen diese Vorurtheile der staatlichen und zentralen Autoritätsanbetung abschütteln, die uns bei jeder Gelegenheit lähmen."

Gewiss, der Schauplatz der Kämpfe ist oft hunderte Meilen von der wundertätigen Zentralleitung entfernt; ehe sie in ihrer holprigen bureaukratischen Manier zu einer Entscheidung gelangt, auf Grund von Mittheilungen über Dinge, die von den Arbeitern am Ort doch viel besser im Zusammenhang durchschaut und beurteilt wrerden können, kann sich die Situation schon wieder völlig verändert haben. Und hat sich auch meistens verändert, so dass zwischen ihr und den zu spät gelasstcn Beschlüssen ein böses Missverhältniss entsteht, das die kämpfenden Arbeiter enttäuscht und unlustig zur weiteren energischen Fortführung der Kampagne macht.

Solche todtc gewerkschaftliche Centralleitungen — die allerdings weniger eine Leitung als ein Ballast sind — haben eine fatale Achnlichkeit mit der himmlischen Vorsehung. Der wird auch zum Lobe ihrer Allwissenheit nachgesagt, sie habe alle Haare auf dem Kopf sorgfältig gezählt. Aber das Ausraufen und den Ausfall der Haare kann sie nie verhindern.

Es sollte nur einmal eine. Gewerkschaft in Colorado oder Illinois das Centraibureau der American Federation of Labor in Bewegung setzen wollen für einen sofortigen Streikkampf. Die Verlegenheits-Pause! Welche Zumutung! So ein Bureau will ja nicht das Sclbsthandeln der Arbeiter fördern und beschleunigen, es fühlt diesen gegenüber mehr wie ein Nachtwächter, der aufzupassen hat, dass Leichtsinn und Ueberrnuth nicht über die Stränge schlagen. Schliesslich würde die betreffende Gewerkschaft, welche des naiven Glaubens war, das Zentralbureau habe den Zweck, die Energie des proletarischen Angriffs zu verstärken, die gemessene bureaukratische Antwort erhalten, es müssten natürlich erst „eingehende

Untersuchungen" stattfinden, denen d3nn so nach und nach die verzögernden, hinschleppenden Verhandlungen folgen könnten. Moment und Gelegenheit wären gründlich verpasst. Die Herzhaftigkcit des Entschlusses der Arbeiter am Kampfplatz selbst, ihr Enthusiasmus, Opferwilligkeit, wären im Schneckengang des Verfahrens verloren gegangen.

Die Ursache, dass die meisten Kämpfe der Arbeiterschaft unter dem Szepter des gewerkschaftlichen Bureau-kratismus einen müden, matten Verlauf nehmen, leicht zu Niederlagen für die Arbeiter, zu Triumphen für die Unternehmer werden, ist diese angewöhnte Abhängigkeit von den „Führern", die oft kein anderes Interesse mit der Arbeiterschaft verknüpft, als dass, ihre Position aufrecht zu erhalten.

Es ist die ursprüngliche, elementare Kraft des Proletariats, die der Syndikalismus vom Staub und Ballast reinigen will. Jene Kraft, die den ersten Kämpfen des Proletariats in der plutokratischen Aera den Charakter von revolutionären Erhebungen gab, die im Marsch der Streiker in Zolas „Germinal" die Herzen der Bourgeoisie erzittern lässt.

Die lebendige Gewerkschaft ist in erster Linie eine Kampforganisation. Sie darf die täglichen Kämpfe mit dem Untcrnehmerthum nicht für gering achten, „weil die Zukunft doch alles bringen wird." Jeden Vortheil, der sich erringen lässt, kann sie als siegreiche Plänkelei betrachten.

Dem Unternehmerthum sollte kein Cent, keine Minute geschenkt werden. Die lebendige Gewerkschaft is taber noch mehr. Wie das Proletariat dem Gegner die Erfüllung von Forderungen abtrotzen, seine Waffen zum Theil unwirksam machen kann, so wird es den Gegner ganz werfen, sobald es nach eigener Erkenntniss selbst zu handeln gelernt hat.

Dann werden es die Arbeiter-Organisationen sein, denen die Aufgabe zufällt, die Produktion zu organisiren ohne Herren und Knechte, die Distribution auf kommunistischer Basis in die Wege zu leiten.

Auch die Zukunft „bringt nicht Alles", wenn ihr nicht mit Bewusstscin vorgearbeitet und damit Charakter und Inhalt gegeben wird.

Das Proletariat hat die Jahrhunderte hindurch Geschichte mit sich als Objekt machen lassen von seinen Ausbeutern. Dabei ist es sehr schlecht gefahren. Sein Reif werden aber lässt es zum erkennenden Subjekt werden, das selbst Geschichte macht.

Pouget fasst die Funktionen der lebendigen Gewerkschaft in dieser Weise zusammen:

1. Dem Ausbeuter beständig die Spitze bieten; ihn zwingen, die errungenen Verbesserungen anzuerkennen; jeden Versuch zum Rückschritt zurückzuweisen; ferner auch anzustreben, dass die Ausbeutung gemildert wird durch Forderung theilweiser Verbesserungen, wie Verkürzung der Arbeitszeit, Lohnerhöhung, Schutz der Gesundheit u. s. w. — Diese Neuerungen, mögen sie sich auch nur auf Einzelheiten beziehen, thun nichtsdestoweniger den kapitalistischen Vorrechten wirksamen Abbruch und schränken sie ein.

2. Die Gewerkschaft ist bestrebt, eine immer weiter reichende Solidarität der Arbeiter vorzubereiten, um es in kürzester Zeit zu ermöglichen, dass die Kapitalisten expropriirt, ihres Privateigenthums wieder beraubt werden; denn diese Aktion allein kann als Ausgangspunkt für eine vollständige Umbildung der Gesellschaft dienen. Erst nach dieser berechtigten Herstellung gerechter sozialer Zustände kann jede Möglichkeit des Schmarotzerthums vernichtet werden. Erst dann, wenn keiner mehr genöthigt sein wird, im Dienste eines Anderen zu arbeiten, wenn die Lohnarbeit vollständig aufgehoben ist, erfüllt die Produktion wieder ihren sozialen Zweck, den sie ursprünglich hatte; erst wenn das Wirtschaftsleben wirklich ein Zusanmmenwirken sich ergänzender Kräfte ist, wird nicht nur alle Ausbeutung verschwinden, sondern sie wird auch für die Zukunft unmöglich sein.

So erscheint die Lösung der sozialen Frage von dem Standpunkt des Gewerkschafters mit einer derartigen Klarheit und Schärfe, dass sie sich auch dem wenigst Scharfsichtigen einfach aufdrängt: Die Berufsorganisation zieht, ohne dass ein Missverständniss möglich wäre, die Grenzlinie zwischen Lohnarbeiter und Fabrikant. Sie zeigt die Gesellschaft so, wie sie ist: Hier die Arbeiter, die Bestohlenen, dort die Ausbeuter, die Diebe." —

Mit dieser Einsicht in die empörenden sozialen Gegensätze verbindet sich die Mißachtung vor den Gesetzen dieser Gesellschaft, das heisst vor ihren Gewaltmitteln, die im Dienst der Besitzenden angewendet werden.

Die Vertheidiger des Bestehenden mögen für dessen Begründung und Schutz soviele Beglaubigungsgründe, Gesetzparagraphen, Flinten und Säbelspitzcn vorbringen, wie sie wollen. Sie können über die unctliörte Thatsache nicht hinweg, dass diese Ordnung einem Theil der Menschen weniger bietet, wie die Wüste den wilden Thieren. Für diesen Theil kann das Wort Zivilisation nur die Bedeutung eines harten Spottes haben, ihm können alle die Grossthaten der Kultur gestohlen werden, denn sie spiegeln nur sein unsägliches Elend wieder.

Dessen Wirkung auf die unter ihm sich windenden Männer, Frauen, Kinder, sind in der That empörender, wie der Gedanke an den Wilden, der im Urwald darbt. Da giebt es keine Märkte, Speicher, Magazine, Läden, vollgestopft mit Lebensmitteln, mit Kleidern, mit Gerätschaften der Bequemlichkeit, mit den Erzeugnissen des raffinirten Luxus. Es sind da keine leerstehenden Häuser und Paläste, die den vor Müdigkeit wankenden Menschen furchtbar wegen seiner Verlassenheit zu verhöhnen scheinen.

Ist es nicht entsetzlich, dass es schon ein „Gemeinplatz" ist, davon zu reden, dass jener Theil der Menschheit darbt, nicht hat, wo das Haupt hinzulegen!

Dieser Einsicht haben sich Leute nicht verschliessen können, die weit von den Lagerfeuern der Revolutionäre wohnten.

Luther schrieb in seiner Erklärung zu dem Gebot: „Du sollst nicht stehlen":

„Anders weiss ich wohl, welche scharfen Rechtc man einführen könnte, aber Noth bricht Eisen, kann auch wohl ein Recht brechen; da Noth und keine Noth sehr verschieden sind, auch ungleiche Zeiten und Personen machen. Was ausserhalb der Noth Recht ist, das ist in der Noth Unrecht, und wiederum, wer bei dem Bäcker ein Brod aus dem Laden nimmt ohne Hungersnot, der ist ein Dieb, thut er es aber in Hungersnot, dann thut er recht, dei\n man ist verschuldigt es ihm zu geben."

Wenn gewisse Schichten der Gesellschaft für sich allein Lebensrecht und Lebensgenuss monopolisiren und diesem Monopol den Namen Gesetzlichkeit und Moral geben, so ist es ein Recht der unter diesem Zustand Leidenden, sich um diese Gesetzlichkeit und Moral nicht zu kümmern, ihnen das ganz anders geartete und besser begründete Recht der Darbenden auf Brod und Existenz entgegen zu setzen.

Die revolutionäre Gewerkschafts-Bewegung im syndikalistischen Geist kämpft nicht nur für eine neue vernünftige und brüderliche Organisirung der Oekonomie, sie schreibt auch eine andere Moralität auf ihre Fahne wie die der satten Tugend.

Sie bekennt sich offen zur Expropriation und macht sogar Anspruch darauf, dass damit eine höhere, humanere Moralität verbunden ist, wie mit der heutigen Art, „Eigenthum zu erwerben."

Doch wird das alles friedlich zu erlangen sein? Wenn das Proletariat die syndikalistische Denkweise annimmt, tritt es in prinzipiellen Gegensatz zur gegenwärtigen Wirthschaftsweise, zum Privateigenthum, zum Staat und seinen Institutionen.

Ganz gewiss, dieser Gegensatz und dass er im Kopf und Herzen des Proletariats empfunden wird, is sogar die Vorbedingung für eine kraftvolle Arbeiterbewegung.

Das Proletariat braucht sich noch nicht Skrupeln hinzugeben, dass es seine eigene Gewalt missbrauchen wird, denn es gilt vor Allem die Waffen der jetzt thatsächlich herrschenden Gewalten stumpf und unwirksam zu machen. ' '

Schlägt einer die Geschichte der besitzenden Klassen und der Staaten auf, um zu erfahren, wie sie zu ihrer Grösse und Macht gelangten, so findet er, dass es Gewalt, Blutvergiessen, Raub waren, die sie zu Grossmächten machten.

Diese Gewalt hält heute, durch Gesetze, Kanonen, Polizeiknüppel repräsentirt, unzählige Darbende davon ab, sich aus dem Reichthum der Gesellschaft satt zu essen. Die Gewalt verhindert es, dass mit Blossen und Lumpen bedeckte Mitmenschen eine Bekleidung haben, wie sie Menschen zukommt. Die Gewalt der Besitzenden sorgt für die Erhaltung des unerhörten Zustandes, dass viele kein Dach über dem Kopf haben, während die Schlösser und Prachtbauten der Auserwählten leer stehen. Es ist die Gewalt, welche den Besitzenden alle Wege zum Lcbensgenuss, zur Bildung und individuellen Kultivirung öffnet und sie den Unbemittelten verschliesst, ihnen nur soviel zufHessen lässt, als sich mit ihrem Knechtsdasein allenfalls verträgt.

Mit blossem Rcchthaben kann das Proletariat diesen Zustand nicht beseitigen, es muss zu seinen eigenen Machtmitteln greifen, seine Gewalt in den Dienst der Gerechtigkeit stellen, wenn es sich aus dem von den bestehenden Gewalten vertheidigten Kulithum der Arbeit befreien will.

Mit dieser klaren Logik gelangten die Syndikalisten zur revolutionären Stellungnahme gegen die gegenwärtigen Gewalt-Institutionen. Vor Allem zur antimilitaristischen Propaganda. Der Militarismus ist die Gewalt der Gewalten. Der Soldat holt für die Privilegirten in deren Konflikten mit den Arbeitern die Kastanien aus dem Feuer.

Kanonenkultur, Patriotismus, Vaterlandsglorie sind die Mittel der Verdummung der arbeitenden Masse. Mit der nationalen Prahlerei, der patriotischen Grossmachts-phrase decken die Ausbeuterschaften die internationale Plünderung der Völker zu. Damit schlagen sie die ökonomischen Erhebungen, Aufstände, Hungerkrawallc, Streiks nieder.

,,Dcr Militärdienst", sagt Tolstoy, „ist die letzte Stufe der zur Aufrechterhaltung der sozialen Organisation notwendigen Gewalt, und die äusserste Grenze, die die Ergebung der Unterthancn erreichen kann; es ist der Schlussstein, dessen Sturz den Zusammensturz des ganzen Gebäudes nach sich ziehen würde. Durch die immer wachsende Willkür der Regierungen und durch ihren Antagonismus, kamen sie so weit, von den Untertanen nicht nur materielle, sondern auch noch moralische Opfer zu verlangen. Und dies zur Unterstützung der angeblichen Vertheidigungsaktion des Staates gegen Feinde, die vom Augenblick nicht mehr bestehen, wo sich alle zu Aposteln der Idee der Menschheit machen, und gegen Verbrecher, die einzig durch das Milieu und den moralischen Einfluss geschaffen werden. Wer sich also weigert, den Militärdienst zu leisten, wird den Vortheil haben, seine Menschenwürde bewahrt, und das Bewusstsein haben, ein seinen Nächsten nützliches Werk zu vollbringen."

Für Amerika, wird uns gesagt, sei die antimilitärische Agitation belanglos.

Das ist ein Irrthum, oder eine bewusste Entstellung der Thatsachen, die jedem nicht voreingenommenen Beobachter zeigen, dass die Funktion der Soldateska hier in Amerika dieselbe ist, wie in den Monarchien Europas.

Gäbe es eine genaue Geschichte, eine Statistik der Streikkämpfe der letzten dreissig Jahre in Amerika und des Eingreifens in dieselben durch Regierungen und Militär, es würde sich vielleicht sogar zeigen, dass es den besitzenden Klassen hier noch leichter wie in Europa gelingt, die Militärmacht gegen die Arbeiterschaft mobil zu machen.

Unter den Präsidentschaften Clevclands und McKinleys gehörten Massakres unter streikenden Arbeitern, ausgeführt von Staatsmilizen oder Bundestruppen, fast zu den täglichen Ereignissen. Der Schuss, den Czolgosz auf McKinley in Buffalo abfeuerte, war ein Echo dieser blutigen Ordnungsrettungen zu Gunsten der Profitmacher.

In manchen amerikanischen Gewerkschaften wird die Mission der Soldateska, der Ausbeutung durch die Plutokratie die Wege zu ebnen und ihr als Unterjochungswerkzeug gegen das arbeitende Volk zu dienen, schon begriffen. Woraus jene Bestimmungen zu erklären sind, laut welchen in einigen Arbeiter-Organisationen keine Mitglieder geduldet werden, die zur Miliz gehören.

Nur für Industrie-Kapitäne, Monopolisten, Spekulanten ist es ein einträgliches Vergnügen, Patrioten zu sein. Mit Regierungshilfe, Protektion, Hochzolltarif, haben sie Monsterprofite eingestrichen. Für sie ist das Vaterland eine tüchtige Milchkuh, Mittel zur Bereicherung, für die Arbeiterschaft eine hohle Nuss, oder ein Polizeistock, mit welchem ihr „Mores", das heisst, Untertänigkeit gegen die Geldmacht eingebläut werden soll.

Auf jedem Gebiet die Arbeiter vom Gängelband der Herren und Vertreterschaften freizumachen, betrachten die Syndikalisten als wichtigste Arbeit der Gewerkschaften.

Das Freisein von der gedankenlosen Ehrfurcht für alle die „untastbaren heiligen Einrichtungen", vor welchen der Arbeiter demüthig die Kappe ziehen soll wie vor einem Gesslerhut, ist nothwendig zur vollen Entfaltung der proletarischen Kraft.

In allen plutokratischen Lamentationen gegen die Streiks, gegen Boykott und die anderen ökonomischen Schilderhebungen, wird die Unverletzlichkeit des Eigenthums stets in den Vordergrung gerückt. Gegen die Syndikalisten wird die „moralische Entrüstung" mobil gemacht, weil sie von der Heiligkeit des kapitalistischen Eigenthums sehr gering denken. Sie geben den Arbeitern nicht nur den Rath, für wenig Geld auch wenig Arbeit zu liefern, sie rathen auch unter Umständen die Eigenthumsbeschädigung und Zerstörung an.

Das ist die Sabotage, die materielle Schädigung des Unternehmerthums durch die Arbeiter.

Diese haben immer Fiasko gemacht, wo sie sich an die Einsieht oder das Wohlwollen der Unternehmer gewandt haben. Leicht verständlich, denn diese wollen vor Allem grosse Profite aus der Arbeitskraft ihrer Lohn-kncchte ziehen und das verträgt sich niemals mit humaner Einsicht und echtem Wohlwollen.

So wurden die Arbeiter stets um die Früchte ihrer Mühen und Kämpfe betrogen, wo sie naiv genug waren, sich auf die „Menschlichkeit" der Plutokratie zu verlassen.

Sie bemerkten, dass nur solche Aktionen Eindruck auf diese machen, mit welchen eine direkte Schädigung ihres Interesses, also vor Allem ihres Eigenthums, des Materials und der Werkzeuge zur Produktion verbunden ist.

Unternehmer, welche auf diese Weise die harte ITand der Proletarier zu fühlen bekommen, empfindlichen Schaden und Einbusse erfahren, mögen den moralischen Argumenten der Arbeiter Hohn und Spott entgegensetzen, sie werden es sich aber überlegen, sich weiteren materiellen Verlusten auszusetzen.

Die Arbeiter könnten sich bei Anwendung der Sabotage darauf berufen, dass die ganze gegenwärtige Wirth-schaft-Ordnung auf gegenseitiger Schädigung und Ueber-vortheilung beruht. Sie könnten auch Beispiele dafür anführen, dass die Spekulation in Industrie und Handel ohne Gewissensskrupel Produkte, Verbrauchsartikel vernichtet, sie faulen und schimmeln lässt, sie den Konsumenten-Massen wucherisch vorenthält, wenn eine solche Handlungsweise höheren Profit verspricht. Damit wäre eine „moralische Begründung" der Sabotage leicht zu erbringen.

Es ist nicht nöthig, einen so grossen Aufwand zu machen. Der soziale Krieg zwischen Geldmacht und Arbeit ist ein Faktum und das Proletariat kann bei der Wahl seiner eigenen Waffen nicht darnach fragen, ob sie mit der Moral dieser Geldmacht übereinstimmen, es hat sich nur klar darüber zu werden, welche Waffen die zweckmässig-sten sind und am ersten den Sieg versprechen.

Von den Arbeitern selbst wird dieser Gedankengang leicht verstanden. Sie, die täglich mit den Werkzeugen und Maschinen zu thun haben, das Produktionsmaterial bearbeiten, mit dem Produktionsprozess viel intimer verbunden sind, wie die Unternehmer, und dabei doch den Löwenantheil in den Taschen dieser Klasse verschwinden sehen — sie brauchen eigentlich garnicht das Gefühl zu haben, dass sie mit der Sabotage fremdes Eigenthum beschädigen. Dieses Eigenthum gehört zu ihnen, ist entstanden aus dem Zusammenwirken vieler Arbeiterhände und Köpfe. Aber es kehrt sich in den Händen der Nurverbraucher gegen sie, seine Hervorbringer, so müssen sie mit einer Korrektur eingreifen.

Griffuelhes, der frühere Sekretär der syndikalistischen Arbeiter-Federation Frankreichs, erzählte in der „Humanite "von seinem Besuch bei den Ilarzsammlern, die noch nicht von den „Agitatoren und Aufrührern" so verdorben wurden, wie die Pariser Proletarier, trotzdem aber ein natürliches Verständniss für direkte Aktion und Sabotage haben.

„Am häufigsten", schrieb der genannte syndikalistische Agitator, „kehrte in unseren Unterhaltungen die entschlossene Willenserklärung wieder, dass man auf's Neue seine Zuflucht zu dem Aktionsmittel nehmen werde, das von unseren Widersachern so viel geschmäht wird, zur Sabotage. Ich erinnere mich, dass bei der ersten Versammlung, die ich am Tage meiner Ankunft veranstaltete, die Genossen mich baten, ausführlich und in den krassesten Ausdrücken von der Sabotage zu reden. Im vorigen Jahre hatten sie die Sabotage im grossen Massstabe ausgeübt, nicht auf äussere Anregung hin, sondern weil ihre Lage, ihr Charakter und die Umstände es ihnen diktirten. Wieviel Scherben gab es da! Wie hat man den Eigentümern auf alle Weise Schaden zugefügt! Diese empörten Arbeiter machten sich nicht schlecht über die Theorien des Salons, über die Moral der Satten lustig, denen zufolge alles verdammenswerth sein soll, was die Arbeiter unter der Eingebung des Augenblicks thun. Gerade die „Profanirung" seines Eigenthums öffnete dem Unternehmer die Augen und — die Börse. Die Furcht machte ihn weise, nicht guter Wille."

In dieser Betrachtungsweise liegt sicher viel mehr praktischer Verstand, wie in jener der konservativen passiven Gewerkschaften, die mit dem Inhalt ihrer Kassen — oft gähnend leer — den Millionen- und Milliarden-Unternehmungen die Spitze bieten wollen Das verdient sicher utopisch genannt zu werden.

Wollte ein armer, hungriger Teufel einen reichen Prasser dadurch zum Nachgeben bringen, dass er ihn auszuhungern versuchte, so würde sich alle Welt über den einsichtslosen Tölpel lustig machen. Der Prasser würde fortfahren, die besten Bissen zu schlucken, währenddessen müsste der Hungerleider den Schmachtriemen enger und enger ziehen.

Jedermann begreift das; wie kommt es aber, dass man nicht begreift, wie sehr die Lage, in welche sich der Arbeiter bei dem Ausbruch eines „legalen" Streiks versetzt sieht, der Lage des erwähnten hungrigen Teufels ähnlich ist?

Die Streiks des blossen Zu- und Abwartcns sind solche zum ewigen Misslingen verdammten Versuche, das Kapital auszuhungern. Dieses verlacht die Passivität der Streikenden, denn es weiss nur zu genau, dass sie stets den Kürzeren ziehen müssen, wenn sie sich nur auf die Streikunterstützung aus der Organisationskasse verlassen.

Mit den paar Arbeitergroschen kann man der Plutokratie nicht imponiren, wohl aber mit einer tüchtigen Dosis des Ökonomischen Terrors, der sie an ihrem wundesten Punkt, dem Profit, trifft.

Es wird soviel über die Nothwendigkeit des Klassenkampfes geschrieben. Doch dieses Parlamentiren, Wählen und vom Resultat und von den Kandidaten enttäuscht sein, dieses Herumflicken an der unhaltbaren, unerträglicher werdenden Situation des Arbeiters mit Ge-sctzgcbungpflästcrchen, diese falsche Hoffnung auf Gcwerkschaftskassen und den „gesetzlichen Weg", das alles ist kein Klassenkampf, ist höchstens dessen Karikatur und Parodie.

An einer Stelle dieser Abhandlung wird von PseudoMarxisten gesprochen. Marx, der für die Ohnmacht des Parlamentarismus die schärfsten Hohnworte fand, kann kaum geglaubt haben, Klassenkampf bedeute nur Wählerei, parlamentarische Spiegelfechterei, oder „Kampf" zwischen den Hungergroschen, die sich die Arbeiter als Gewerkschafts-Beiträge abzwacken, und den Ricsetikapi-talien der Plutokratie.

Der direkte proletarische Klassenkampf ohne Zwischenträgern nach der Seite der herrschenden Oekonomie und Moral hin, gelangt im revolutionären Syndikalismus zum Ausdruck. So sind auch seine Kampfmittel direkt gegen den Feind geführte Waffen.

Mit den eigenen Kampfmitteln des Proletariats, dessen soziale Revolution durchzuführen, die Oekonomie der Gleichheit, die Solidarität freier Organisationen und Individuen zu etabliren, das ist sein Ziel.

Nutzanwendung fuer das amerikanische

Proletariat.

Das amerikanische Volk, so lautet die Phrase, hat alle politische Macht in der eigenen Hand.

Wie verträgt sich diese politische Allmacht mit der ökonomischen Ohnmacht ?

Die allgemeine Lage des amerikanischen Proletariats ist nicht eine solche, dass es Ursache hätte, stolz darauf und auf seine Machtstellung zu sein.

Zwar mag es im Ganzen noch zutreffen, dass die Löhne etwas höher sind wie in Europa, doch sind auch die Lebenskosten bedeutend höhere.

Die Arbeiter auf den grossen Industrie-Plantagen leben oft in elenden, rauchgeschwärzten Holzhüttcn, denen jeder Komfort fehlt. Viele wohnen in den Häusern, die dem betreffenden Industrie-Lord oder der Kompagnie gehören, und gerathen auf diese Weise in eine peinvolle Abhängigkeit.

Auch sind die Wohnungsmiethen auf diesen Plantagen, deren Häuser den Fabrikanten gehören, in der Regel höher, wie in den Häusern der gewöhnlichen Landlords. Dabei meisstens aus dem schlechtesten Material erbaut. Infolge ihrer nüchternen Uniformität, ihrem völligen Mangel an künstlerischer Ausführung, machen sie den Eindruck von Kasernen, oder Korrektionshäusern. In manchen Distrikten tritt zu dieser Form der Ausbeutung noch der „Company Store" hinzu. Das ist ein weiteres Monopol der Plutokratie, das Monopol, die Arbeiter direkt als Konsumenten auszubeuten. Da es keine Konkurrenz in dem Orte giebt, haben die Arbeiter ihre Waarcn aus diesem Laden zu beziehen, wo ihnen die höchsten Preise angerechnet werden.

Bei Streiks in den grossen Industrie-Bezirken tritt das sich hieraus ergebende Elend oft in krassester Form hervor. Während der Streiks in den Kohlenrevieren wurde oft die Thatsache an's Licht gezogen, dass manche Arbeiter durch Wochen und Monate hindurch kein Geld in die Hand bekamen. Die Löhne werden mit ihnen für Wobnungsmiethe und Waaren aus dem Laden der Unternehmer verrechnet; in vielen Fällen reichen sie nicht aus, so dass die Arbeiter in ewiger Schuld in den Büchern der Kompagnie stehen.

Dieser Zustand kann für die Arbeiter zu einem völligen Versiegen der Existenzquellen führen. Sic können unter dem ökonomischen Druck, den das Kapital ausübt, den Schrecken des Hungers, der Obdachlosigkeit preisgegeben werden. Das geschah während des grossen Streiks in den Carnegie-Werken Homesteads (und hat sich seitdem noch oft genug wiederholt). Hier wurden die Arbeiter zur Strafe dafür, dass sie sich nicht völlig dem Gebote der Herren fügten, mit Weib und Kind per Gewalt aus ihren Behausungen vertrieben.

Die Industrieherren regieren fast so unumschränkt, wie die Feudalherren des Mittelalters. Selbst konservative Gewerkschaften werden von ihnen oft „nicht gc-duldet" (zum Beispiel in den Werken des Stahlkönigs Schwab).

Das verzopfte Gewerkschaftswesen mit den Bran-chenverbändchen kann überhaupt an die eigentliche Grossindustrie garnicht heran. Es wirkt zersplitternd, anstatt vereinend, möchte womöglich jeder Theilarbeit extra ein Gewerkschaftszünftchen aufhalsen, verriegelt diese mit Statuten und Competenz-Paragraphen und bringt es denn glücklich auch fertig, dass die Jurisdiktions-Streitereien den grössten Raum einnehmen. An der Stelle des Kampfes gegen das Unternehmerthum sehen wir den Kampf zwischen den Bcrufsschichtcn der Arbeiter toben.

Die Geldmacht ist über dieses Land mit allen modernen Methoden des Raubbaus und der Ausbeutung hergefallen, die Arbeiterbewegung hat aber mit diesem pluto-kratischen, kommerziellen Raffinement nicht Schritt gehalten.

Unter dem wechselnden Regime der politischen Parteien ist dem amerikanischen Volke innerhalb einer kurzen Spanne Zeit die Erde seines Landes gestohlen worden. Hier lag das Land in weiten Strecken bereit für die gemeinschaftliche Bearbeitung, für den gemeinschaftlichen Verbrauch seiner Produkte auf der Grundlage der Gleichheit und Unabhängigkeit. Die Regierungen und Politiker aber enterbten die Massen zur unmässigsten Bereicherung Ökonomisch privilegirter Schichten. Was sie dem arbeitendem Volke Hessen, war der politische Betrug.

Hier braucht man keine soziale Revolution, keinen ökonomischen proletarischen Kampf, versicherten sie, denn wo ein Volk so glänzende, politische Rechte habe, wie in dieser Republik, könne eine Sozialrevolutionäre Bewegung höchstens als ein von Fremden eingeschlepptes Kuriosum in Betracht kommen.

Mit dieser politischen Illusion haben sich die amerikanischen Arbeiter in der That ködern lassen. Iiypnoti-sirt mit der politischen „Freiheit" sahen sie nicht, dass gerade sie das Mittel war, die Arbeiterschaft ökonomisch wehrlos zu machen.

Der amerikanischen Plutokratie dient die politische Freiheitsphrase als ein wirksames Mittel, die arbeitende

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Menge in sozialer und ökonomischer Knechtschaft zu halten. Sic errichtet — so paradox das klingen mag — ihre Herrschaft geradezu auf der politischen „Freiheit."

Allerdings, das Proletariat wird einmal die Entdeckung machen, dass diese Freiheit ein Wort ohne Gehalt ist. Dann wird die Zeit für die revolutionäre ökonomische Kampforganisation gekommen sein.

Und es wird nicht mehr heissen, dieser oder jener Partei wollen wir die politische Büttelgewalt in die Hände geben, sondern, wir, die Arbeiter, wollen selbst ökonomische Macht erringen.

Der politische Aberglauben hat es zum guten Theil Schuld, dass die Arbeiter-Organisationen Amerikas passiv und todt sind.

Von den Leitern in der gewerkschaftlichen Bewegung wird stets mit Stolz die Gesetzlichkeit und Loyalität hervorgehoben. Sie wollen sowohl der Arbeit wie auch dem Kapital „gerecht werden", wobei es sich dann natürlich ergiebt, dass die Arbeiterschaft der betrogene Theil ist. So nehmen diese Leiter auch nicht prinzipiell Stellung gegen den plutokratischen Staat, gegen die kapitalistische Gesellschaft, ihre Argumentation dreht sich im Kreise der gegenwärtigen sozialökonomischen Ungerechtigkeit herum: sie kommen mit ihrer Agitation nicht über den Rahmen der Ausbeutung und der Lohnsklaverei hinaus und es fällt ihnen nicht ein, die soziale Berechtigung der Existenz der plündernden, besitzenden Schichten und deren Regierung in Frage zu stellen.

Nur reformiren wollen sie, nicht revolutioniren, fallen aber mit ihrer Schwanz- und Lobbypolitik regelmässig gründlich herein. Unaufhörlich empfehlen sie den Arbeitern den gesetzlichen Weg, doch diese fangen an einzusehen, dass dieser Weg ein Holzweg ist, der im Dickicht des Industrieelends stecken bleibt.

Die Gesetzgebungen und Gerichte in den Vereinigten Staaten sorgen mit zielsicherer Konsequenz dafür, dass auf dem Wrege plutokratischer Brandschatzung kein Hin-derniss sich ergebe.

Die „Arbeiterschutzgesetze", hier und da aus demagogischer Spekulation durchgedrückt, werden eins nach dem andern von den Gerichten erwürgt. Achtstundentag, Abschaffung der Kinderausbeutung stimmen mit dem

Raubmonopol der Industrieherren nicht überein. So werden sie als unkonstitutioncll beseitigt. Mit der Konstitution stimmt alles übcrein, was diesem Raubmonopol nützlich ist. Im Namen der Konstitution wird alles dem Orkus überantwortet, was geeignet wäre, dies Monopol irgendwie zu schädigen.

Unkonstitutionell sind Streikposten und Boykott; dagegen sind die Einhaltsbefehle durchaus verfassungsmässig, denn mit ihrer Hilfe kann jede ökonomische Aktion des Proletariats zu Gunsten des Unternehmerthums lahm gelegt werden.

Die Situation spitzt sich ganz darauf zu, die Arbeiter in eine Zwangsjacke zu pressen, ihnen alle und jede Bewegungsfreiheit für die ökonomischen Kämpfe zu rauben.

Das muss sie endlich zur Selbstbesinnung kommen lassen und der Erkcnntniss zuführen, wie erniedrigend und praktisch resultatlos die Bettelsuppen-Politik der konservativen Gewerkschaften ist.

Die amerikanischen Arbeiter werden sich mit den Methoden des Syndikalismus, mit der Taktik der revolutionären Gewerkschaften der europäischen Länder bekannt machen müssen, wenn sie nicht in dem ihnen zugemuteten stummen Kulithum untersinken wollen.

Das Unzulängliche und Reaktionäre der korporativen Gewerkschaft, wie Lagardelle, einer der syndikalistischen Schriftsteller, die branchenegoistischen Verbände nennt, wird schon in Gewerkschaftskreisen selbst scharf empfunden.

In einem Gewerkschaftsblatt (Brauerzeitung) wurde in einem Artikel über Streiks ausgeführt:

„Die amerikanischen Gewerkschaften haben mit ganz verschwindend kleinen Ausnahmen keine Fortschritte gemacht, die allermeisten stehen noch auf demselben Standpunkte wie vor 25 und 50 Jahren. Keine einzige der Vorbedingungen zum erfolgreichen Gewinnen von Streiks ist vorhanden, und gar oft gehen die in solche Streiks verwickelten Unions auch unter. Aufgeteilt in unzählige Fach-Verbände, welche einander noch eifersüchtig bekämpfen zum Gaudium des Ausbeuterthums, stehen heute die Gewerkschaften da, zersplittert einem starken Gegner, dem vereinigten Kapital, gegenüber.

Kleinlich ist jede Organisation bestrebt, eine chinesische Mauer um sich herum zu errichten, nur um die gelernten Arbeiter bekümmert man sich und giebt meistens den Teufel um die gewöhnlichen ungelernten Tagelöhner. Dass unter diesen Umständen die noch der Gewerkschaftsbewegung ferne stehenden Arbeiter für die Unions nicht viel übrig haben, kann man sich da leicht denken. An der nöthigen Kampfeslust der Streiker fehlt es meist auch, und von Darbringung von Opfern wollen wir lieber gar nicht reden. Klassenbewusstsein, Prinzipientreue und Solidarität sind dem amerikanischen Proletariat meistens noch unbekannte Dinge. Die organisirte Arbeiterschaft dieses Landes wird nur dann im Stande sein, noch etwas zu erringen, wenn erstens, die Arbeiter sich als Industrien, also als Industrie-Verbände organi-siren, um so im Stande zu sein, wenn nöthig, ganze Industrien lahm zu legen resp. zum Stillstand zu bringen; zweitens, alle Harmonieduselei aufzugeben und zum Klassenbewusstsein sich zu bekehren. Allen Nationalstolz an den Nagel hängen und auf den vielgepriesenen Patriotismus zu pfeifen."

Auf die hier kritisirte Zunftgewerkschaft trifft zu, was der schon erwähnte Lagardelle von der „Arbeiteraristokratie" sagt, die gleichgültig auf das Leiden der un-organisirten Masse herabblickt, ähnlich den Parvenüs in der bürgerlichen Gesellschaft:

„Ein gemeinsames Ideal eines Bourgeoislebens treibt hier die Arbeiter wie die Kapitalisten durch die gleichen Methoden zum Ergattern von Vortheilen. Die grossen nach korporativem Typus eingerichteten Gewerkschaften sind in keiner Hinsicht von den Unternehmerverbänden verschieden;dieselbe Zentralisation, dieselbe Kompromisspolitik, dieselbe Sorge um finanzielle Macht. Das ist auch natürlich-. Die zu einem guten Geschäftsgang nöthige Autorität eines Leiters ist bei „Unternehmungen" der Arbeiter nicht weniger nöthig wie bei „Unternehmungen" der Bourgeoisie. Wenn man die Konflikte zwischen Arbeitern und Kapitalisten einfachen Kämpfen zwischen WaarenVerkäufern gleichsetzt, können sie auch nur durch eine Verständigung, eine Art kaufmännischen Kontrakt, beendet werden. Wenn man von dem Prinzip ausgeht, dass das Geld die Welt regiert, werden die Gewerkschaften logischerweise zu Banken und Versicherungsgesellschaften des Proletariats, die Kapitalien zur Ergatterung von Vortheilen und Abwendung von Verlusten ansammeln .. Die materiellen Erfolge der korporativen Praxis können uns bisweilen zum Staunen bringen, wie auch die Erfolge eines kommerziellen oder finanziellen Geschäfts uns überraschen können. Aber es liegt nichts Neues darin, das Interesse für die Zukunft und Wert für die Kultur hat."

Der Satz von den materiellen Erfolgen der „loyalen" Gewerkschaften, die bisweilen Staunen erregen, bezieht sich nur aiif europäische Zustände.

In Amerika sind auch solche Augenblickserfolge nicht vorhanden.

Obwohl in keinem anderen Lande die Plutokratie solche Riesenprofite in den letzten Jahren eingesackt hat, wie in den Vereinigten Staaten, ist doch die amerikanische Arbeiterschaft von diesem „Segen" ganz und gar ausgeschlossen worden, eben weil ihre gewerkschaftlichen Organisationen in allen ernsten Kämpfen versagen, so passiv und veraltet sind, dass sie den Uebermuth der Ausbeuterschaft nicht mindern, sondern nur stärken können.

Der amerikanischen Industrie sollte ja der Weltmarkt erobert werden. Die Mittel dazu waren Ucberarbeit und möglichst billige Bezahlung der „Hände". Wenn diese nach ihrem Antheil an der nationalen Fülle frugen, so verwies man sie auf die amerikanische Flagge, die weiter und weiter in den Meeren vordringe. Es war nicht zu leugnen, dass die Löhne keine grosse Neigung zeigten, in die Höhe zu steigen, hingegen stiegen die Preise der Lebensmittel mit grosser Eilfertigkeit, denn es war so weit unter dem Uebermass an nationaler Glorie gekommen, dass diese Preise von den einzelnen Plünderungs-Verbänden der Spekulanten dem Volke autokratisch dik-tirt wurden. Auch das deckte das Sternenbanner zu und wenn die genasführten Proletarier einmal nach Aufschluss über dieses schreiende Missverhältniss verlangten, dann kam sicher ein patriotischer Statistiker zum Wort, der ihnen bewies, dass der Volkswohlstand jedes Jahr wachse und gedeihe. Er bewies es mit riesigen Zahlen, so dass sich der Arbeitsmann verwunderte und sich fast schämte, dass er noch nicht ein kleiner Millionär war. Die Unternehmerpresse hatte vielleicht doch recht mit der Behauptung, dass er, der Arbeiter, einen gar zu anspruchsvollen ausschweifenden Lebenswandel führe, dass er nicht sparsam und fleissig genug war, dass er zur Faulheit und Prasserei hinneige.

So haben wir es hier mit den politischen Freiheiten und den legalen Gewerkschaften so weit gebracht, dass wir die frechste und gierigste Geldmacht grosszogen, und die widerstandsloseste Arbeiterbewegung, die kampfunfähigste Gewerkschaft haben.

Nach den Fehlschlägen der „Arbeiterpolitik" in den Parlamenten, nach den Enttäuschungen, die der Stimmzettel schon gebracht hat und noch bringen wird, nach dem Betrugsspiel der Schiedsgerichte und Civic Federa-tions-Farcen, müssen die amerikanischen Arbeiter endlich zur Erkenntnis^ und Anwendung ihrer ökonomischen Macht vordringen.

Sie müssen begreifen lernen, dass die ihnen feindlichen staatlichen und ökonomischen Institutionen mit ihrem Blut ernährt werden und es muss ihnen die einfache grosse Wahrheit aufgehen, dass nur ihr politischer Köhlerglaube, ihre Frohnarbcit und dumpfer Hclotcnsinn, der sie nicht zur brüderlichen Verständigung kommen lässt, das Weiterbestehen der Knechtschaft möglich machen, in der sie bisher gelebt haben.

Der Geist von 1886, der dem syndikalistischen verwandt war, sollte in das amerikanische Proletariat seinen Einzug halten.

Damals war es der Aufschwung der amerikanischen Arbeiterbewegung, der den Chicagoer und anderen reichen Ordnungsstützen den Schrecken vor der nahe bevorstehenden sozialen Revolution in die Glieder fahren liess. Damals versuchte die Arbeiterschaft sich in ihren energischen Charakteren vom Gängelbande des politischen Bauernfangs loszumachen. Der Kampf gegen die Gier und Despotie der Plutokratie nahm mehr einen sozialen, ökonomischen Charakter an; das politische Vertretungssystem kam in den ihm gebührenden Verruf, so dass die herrschende Sippe Mammons fürchtete, sie werde den alten korrumpirenden Einfluss auf die Arbeiterorganisationen verlieren, mit dessen Hilfe sie es immer fertig gebracht hatte, die Arbeiterkämpfe in für den Fortbestand des Raubstaatswesens ungefährliche Farcen zu verwandeln.

Darum schrie die Geldmacht nach dem Blut von Spies, Parsons und den anderen Arbeiter-Agitatoren. Der selbstständige revolutionäre Geist des Proletariats musste strangulirt werden.

Und doch hat der damalige Kampf das amerikanische Proletariat weiter gebracht, wie nachher alles Wählen und Schiedsrichtern zusammen genommen.

Mit einem Schlage forderten in der Maibewegung von 1886 366,000 Arbeiter den Achtstundentag, und die Unternehmer bewilligten sofort 150,000 Arbeitern diese Forderung.

Darauf legten die Arbeiter, denen man die achtstündige Arbeitszeit nicht zugestehen wollte, die Arbeit nieder. 216,000 Arbeiter schritten zum Ausstand. Von diesen erstritten sich noch 42,000 Arbeiter den Achtstundentag, so dass im Ganzen 192,000 Arbeiter der Wohlthaten der verkürzten Arbeitszeit theilhaftig wurden.

Unter den furchtbaren Verfolgungen, welche die Polizei nach den Chicagoer Vorgängen gegen die Arbeiterbewegung inszenirte, konnten viele Arbeiter die Errungenschaften ihrer grossen Bewegung nicht allenthalben aufrecht erhalten. Schon im Juli des Jahres 1886 hatte sich die Zahl der Arbeiter, welche im Genüsse des Achtstundentages waren, auf 50,000 verringert. Trotzdem aber erfreuten sich mehr als 100,000 Arbeiter einer Verkürzung der Arbeitszeit um wenigstens eine Stunde, in manchen Fällen drei bis vier Stunden.

(Vorstehende Zahlen sind dem Buche: „Der moderne Sozialismus in den Vereinigten Staaten" von Sartorius von Waltcrshausen entnommen.)

Dieses aggressive Vorgehen der Arbeiter selbst war von kurzer Dauer; die ganze verfügbare Brutalität und Korruption der Geld- und Staatsmacht stürzte sich auf die Wortführer des Proletariats mit dem bekannten historischen Mordresultat und dem darauffolgenden Rückschlag der Bewegung.

Was nachdem gekommen ist, war Stillstand und Rückgang.

Die herrschenden Schichten haben ihre Gewalt befestigt. Polizeigewalt und Militarismus sind in schärferen Gegensatz zum Volke getreten.

Das zeigte letzthin der Fall des Bundessoldaten Bu-walda, der erst zu mehrjähriger Festungshaft verdonnert wurde, weil er eine Versammlung besucht hatte, in der Emma Goldman sprach. Er hatte es sogar gewagt, ihren Ausführungen beizustimmen. Es trug ihm die „Ehrloserklärung" von Seiten der Militärbehörde und des Präsidenten ein.

Dieser Fall ist charakteristisch, er zeigt, wie auch die regierende Kaste dieser Republik im Militarismus ihre mörderische Hauptstütze sieht. Sie früchtet den Einfluss humaner Ideen, revolutionärer Propaganda auf die Armee nicht weniger, wie die Regierungen Europas ihn fürchten. Diese ausbeutenden Kasten und büttelhaften Regierungen haben ein sicheres Gefühl dafür, dass ihre Giftpilzen-Existcnz keinen „sittlichen Halt" im Denken und Fühlen der Völker hat, dass es nichts weiter als rohe Gewalt ist, was die Fortführung dieser Existenz noch möglich macht. Darum ist ihre brutalste Gewalt-Institution, die Armee, der Punkt an welchem sie äusserst empfindlich und sterblich sind.

Die „Diener" des Volkes misshandeln, quälen, schuhriegeln das Volk. Sie verknüpeln es, wenn es vorlaut nach Brod schreit, sie schleppen es auf die Polizeistation, wenn es gegen die Brutalität protestirt, sie senden es, dem Verbrecher gleich, ins Arbeitshaus, ins Gefängniss, wenn es obdachlos ist, wenn es gebeugt, in Lumpen und Schmutz, zu einer „Störung des Verkehrs," zu einer „Schande für die guten Sitten" wird. Sie reguliren mit tausend Paragraphen die Knechtschaft des Volkes, sie erfinden immer neue Methoden zu seiner Zähmung, zu seiner Niederhaltung im Zustande der Armuth und Ohnmacht.

So kann das amerikanische Proletariat die gleiche Erfahrung machen wie das französische; die Erfahrung, dass die Arbeiter unter jeder Art von Staatsregierung, unter jedem politischen Parteiregime ausgebeutet, gc-büttelt, mit Polizei- und Militärgcwalt bedroht werden, wenn sie um ihre Menschenrechte kämpfen wollen.

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Zu dieser Einsicht in das Getriebe der sozialen Tyrannei gelangten die Syndikalisten in den europäischen Ländern, und aus ihr heraus begannen sie die antikapitalistische, antistaatliche, antimilitaristische Propaganda.

Die syndikalistische Denkweise, die Propagirung der direkten Aktion, des Generalstreiks, sind das natürliche Resultat hunderter getäuschter Hoffnungen und Misserfolge mit den elenden politischen Scheinaktionen der Regierungen und Parteien und den Scheingefechten der passiven Gewerkschaften.

Durch diese Enttäuschungen ist seit Generationen auch das amerikanische Proletariat gegangen, es sollte reif genug geworden sein für die Anwendung der Kampfmittel des Syndikalismus, für das Verstehen des revolutionären, lebendigen Gewerkschaftskampfes.

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